Von Usche Merk. Über die Schwierigkeiten einer gleichberechtigten Partnerschaft in ungleichen Verhältnissen
Sierra Leone. Februar 2005. Ein uralter Helikopter bringt uns vom Flughafen auf die Halbinsel Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones. John Caulcker, Vertreter unseres Projektpartners Truth and Reconciliation Working Group heißt uns willkommen. Auf dem Weg in die Stadt kommen wir an vielen großen Neubauten vorbei. "Ja, es hat sich viel verändert seit ihr das erste Mal 2003 hier wart," sagt John mit einem sarkastischen Unterton. "Überall werden neue Villen gebaut, es gibt jetzt eine schöne Auswahl von guten Hotels und Restaurants, attraktive Plätze am Strand, europäischen Joghurt im Supermarkt und Bankautomaten." "Sierra Leone ist reich," sagt Astrid Ilper, Geschäftsträgerin der deutschen Botschaft, "es hat viele Bodenschätze, ein fruchtbares Klima und fischreiche Gewässer. Die offiziellen Diamantenexporte sind seit Kriegsende auf 127 Mio. US$ gestiegen, 3 % davon sind Steuereinnahmen. Nur wenig kommt davon jedoch der Bevölkerung zugute, Bildungs- und Gesundheitswesen sind immer noch in einem miserablen Zustand, von einem ökonomischen Aufschwung ist nichts zu spüren."
Auch im Gespräch mit John und seinen Kollegen und Kolleginnen der Truth and Reconciliation Working Group, einem zivilgesellschaftlichen NGO-Bündnis, das den Prozess der Wahrheitskommission (TRC) kritisch begeleitet, herrscht Verdruss: "Im Oktober wurde offiziell der TRC-Abschlußbericht der Regierung übergeben, aber danach wurde er sofort wieder eingezogen. Es sei eine nicht redigierte Version mit Fehlern darin gewesen und er müsse überarbeitet werden, hieß es. Nun ist es Februar 2005 und der endgültige Bericht liegt immer noch nicht vor! Wir haben noch nicht mal den vorläufigen zu Gesicht bekommen, weil es nur 10 Exemplare davon gab. Jetzt gibt es tausend Ausreden, warum der Bericht noch nicht vorliegt und keiner fühlt sich mehr verantwortlich dafür. Die Kommission hat sich aufgelöst, die internationalen Kommissionsmitglieder sind in alle Welt zerstreut und der Vorsitzende, Bischof Humper, ist keiner, der journalistische Kompetenzen hat. Wir haben überall nachgefragt und Druck gemacht und sind immer nur vertröstet worden." Der Bericht, so Caulcker, sei doch das politisch wichtigste Ergebnis der Kommission. "Wir wollen damit arbeiten, in den Communities aber auch lobbyistisch als Zivilgesellschaft, damit die Empfehlungen umgesetzt werden. Unserer Meinung nach ist die UN in Genf letztlich verantwortlich, sie hat diesen Prozess in Gang gesetzt und muss sich deshalb auch darum kümmern, dass er korrekt zu Ende gebracht wird." Ratlose Bitterkeit liegt auf den Gesichtern der Working Group Mitglieder. "Und wenn wir in die Communities kommen, dann fragen uns die Leute empört, wo der Bericht bleibt."
Vertreibung der Kriegsopfer
Auch bei dem Vorstand der Sierra Leone War Wounded and Amputees Association im Aberdeen Camp, der Organisation der im Krieg Verstümmelten, herrscht Ratlosigkeit. Vor uns sitzen Männer, denen Arme oder Beine fehlen. Hinter ihnen Baracken und Wellblechhäuser. Sie sollen vom Camp vertrieben werden, weil ein Investor das Land haben will. Sie weigern sich zu gehen und erzählen von ihren Protesten. "Unsere Bedingung ist, dass wir Zink und 2 Mio. Leones bekommen, damit wir uns eine neue Existenz aufbauen können. Wovon sollen wir denn sonst leben? Wir haben nichts, wir können nicht mehr arbeiten, von der versprochenen Kriegsopferentschädigung, die aus einem Prozentsatz des Diamantenhandels finanziert werden soll, haben wir nie wieder was gehört, von 150 Leuten hier sind schon 36 gestorben, das einzige , was wir tun, ist in die Stadt gehen und betteln." Die ‚Amputierten' waren die medialen Symbole für die Grausamkeit dieses Krieges, doch sie selbst haben nichts davon. "Wir werden keine Ruhe geben, auf unsere Situation aufmerksam zu machen," sagt Alhaji Juso Jaka, der Vorsitzende. "Wir haben mehrere Eingaben an die Regierung gemacht, wir haben unsere Forderungen aufgeschrieben, wir versuchen mit internationalen Besuchern in Kontakt zu kommen, wie Eurem Bundespräsidenten oder dem norwegischen Prinzen, der morgen hier sein wird. Euren Präsidenten haben wir zwar nicht gesehen, aber seine Journalisten haben sich alles notiert."
Gibt es einen angemessenen Umgang mit den Hoffnungen und Erwartungen von Menschen in einer solchen Situation? Wir können an ihrer Situation nichts ändern, das Problem muss politisch gelöst werden. Unsere Hilfe beschränkt sich auf Anteilnahme, Zuhören, Öffentlichkeitsarbeit und kleinere Unterstützung für Fahrt- und Kommunikationskosten der Selbstorganisation.
Solange Hilfe kein Recht ist
"Bettler können nicht entscheiden, sagt man bei uns," erklärt Steven von Graceland Counselling Services mit verlegenem Lachen, als wir das Budget 2005 diskutieren. "Ihr müsst entscheiden, was Ihr uns geben wollt." "Aber Ihr könnt formulieren, was Ihr braucht und wofür ihr die Mittel, die wir zur Verfügung stellen können, einsetzen wollt," entgegnen wir und verweisen auf das medico-Prinzip der Partnerorientierung. Es ist eine Diskussion im Kontext von Ungleichheit und einer Finanzierungskultur, in der üblicherweise der Geber sagt, was gemacht wird. Solange die Hilfe eine Gnade ist und kein Recht, solange es um Almosen und nicht um Umverteilung von Ressourcen geht, ist auch die kritische Hilfe im herrschenden Diskurs gefangen. Bondu Manyeh, die Leiterin von Graceland Counselling Services, nimmt uns mit nach Lumley, wo sie ein kleines Zentrum zur Unterstützung von kriegstraumatisierten Frauen aufgebaut haben. Gut 30 Frauen kommen regelmäßig hierher, lernen handwerkliche Techniken, mit denen sie hoffen, Geld verdienen zu können, besuchen Alphabetisierungs- und Rechenkurse und versuchen durch psychosoziale Beratung bei Bondu den Alptraum ihrer Kriegserlebnisse etwas zu bändigen. Alle wurden schwer missbraucht, manche wurden körperlich so misshandelt, dass sie schwere Gesundheitsschäden davongetragen haben.
Auf der Rückfahrt erzählt Bondu, dass die Geschichten der Frauen manchmal schwer zu ertragen sind.. "Was mir geholfen hat und mich in meiner Arbeit sehr gestärkt, ist die Fortbildung mit den Südafrikanern von Sinani", sagt Bondu, "ihre partizipative Art der Kursleitung, die Inhalte und die Handbücher, waren alle sehr nützlich. Ich würde gerne noch viel mehr lernen und mich über die praktische Arbeit austauschen." 2004 hatte medico (mit Hilfe eines Zuschusses vom Auswärtigen Amt) eine Trägerfortbildung für 30 sierra-leonische Teilnehmer organisiert, die gemeindeorientierte psychosoziale Arbeit machen bzw. machen wollen. 2 Trainer von Sinani, dem KwaZulu-Natal Programme for Survivors of Violence, das in Südafrika seit 10 Jahren eine innovative psychosoziale Arbeit in gewaltgeprägten Gemeinden durchführt, fuhren zweimal zu einem 10-tägigen Workshop nach Sierra Leone. Mit Hilfe eines Fragebogens erhalten wir auch von den anderen Fortbildungsteilnehmern Rückmeldungen und sind beeindruckt vom positiven Feedback.
Kurz vor der Abreise treffen wir Ken und Sahr, die als Organisationsberater arbeiten und eine sierra-leonische Consulting-NGO aufgebaut haben. "Dieser Development-Diskurs über Partizipation und Nachhaltigkeit ist ein riesiger Paradigmenwechsel für die Leute hier. Es fällt ihnen schwer, langfristig zu planen, eigene Stärken zu kennen und Ziele zu formulieren, weil alles auf das unmittelbare Überleben in einem autoritären und von Willkür geprägten Kontext eingestellt ist. Diese Fremdbestimmung müssen wir ändern. Wir kämpfen darum, zu dieser globalen Welt als Gleichberechtigte dazuzugehören."