John Caulker über das Leben im Nichts
„Etwas besseres als den Tod finden wir überall“, sagten sich einstmals die musizierenden Protagonisten einer bekannten Märchenerzählung, und entflohen ihrer unwirtlichen norddeutschen Heimatstadt. Heute verlassen die Menschen den Sahel und die zentralafrikanischen Staaten und ihr Ziel heißt: nach Norden. Die Europäer versuchen, diesen Vormarsch der Weltüberflüssigen mit Spähschiffen, Maschinengewehren und stacheldrahtbewehrten Zäunen zu stoppen. John Caulker ist Koordinator der Truth- and Reconciliation Working-Group in Sierra Leone. Am Rande eines Besuchs in der Frankfurter medico-Zentrale sprach er angesichts der erschütternden Bilder aus Ceuta über die Gründe, warum sich die Menschen aus diesem Teil Afrikas auf die gefährliche Reise machen. MG
Schlaglichter
Auch uns ist es ein Rätsel, wie wir überleben – manche sagen durch Magie oder durch Luft. Wir dachten, mit dem Kriegsende würde sich die Lebensqualität verbessern. Aber auch nach fünf Jahren hat sich nichts getan. Die Ökonomie geht bergab, die Inflation steigt. Da denken die Menschen: Ob ich hier lebe und bald sterbe – geh' ich doch lieber woanders hin und sterbe dort später. Wenn alle einfach gehen könnten - mehr als 90 Prozent würden das Land verlassen. Auf unseren Märkten finden wir bereits diesen ganzen billigen Plunder von sonstwoher. Für unsere handgefertigten Kleider gibt es zuwenig Käufer. Wir brauchen eine Struktur, die unsere lokalen Produzenten schützt – die Bauern, die Tischler, die Schneider.
Steigt der Benzinpreis, verteuert sich sofort alles; der öffentliche Transport, jede Paprika, jedes noch so kleine Ding. Die Löhne dagegen stagnieren. Der monatliche Mindestlohn beträgt 40.000 Leones, das sind lächerliche 14 US-Dollar. Die Leute müssen mehr ausgeben, um zur Arbeit zu kommen, als sie bei ihrer Plackerei überhaupt verdienen. Ein simpler Malariatest kostet 100.000 Leones, zwei durchschnittliche Monatslöhne. Die Anwesenheit der internationalen Organisationen lässt die Prostitution ansteigen, auch die der Kinder. Holt man sie aber von der Straße, verlieren ihre Familien ein wichtiges Einkommen. Zwischen den Menschen und der Regierung findet keinerlei Dialog statt. Warum also bleiben? Viele fragen sich das mit gutem Recht.