Sri Lanka: Keine schnelle Geschichte

19.08.2005   Lesezeit: 5 min

Wie im Norden Sri Lankas Wiederaufbauhelfer und Opfer der großen Flut um Land und Zukunft ringen

Wir haben die "Entwickler" von den Social, Economical and Environmental Developers (SEED) im Januar diesen Jahres kennengelernt, nur wenige Wochen nach dem Tsunami. Damals fuhren wir zusammen nach Mullaittivu, einen der besonders schlimm getroffenen Orte an der tamilischen Nordküste Sri Lankas. Singham und Ganesh, die beiden Gründer von SEED, hatten dort Nothilfe geleistet, waren mit ihren Mitarbeitern im Kleinbus gleich nach den ersten Nachrichten zur Küste gefahren. Als sie nach mehrstündiger Fahrt in dem völlig zerstörten Ort eintrafen, stand das abfließende Wasser noch hüfthoch. Sie halfen, hunderte von Toten zu bergen, und betreuten verletzte, zutiefst verstörte Menschen in den ersten Stunden nach dem Unglück.

Schon bald stand ihr Entschluss fest, die Leute von Mullaittivu nicht im Stich zu lassen. Arbeitete SEED bisher mit Opfern des jahrzehntelangen Bürgerkriegs, würden jetzt Überlebende des Tsunami hinzukommen. Die Projekte von SEED sind Wiederansiedlungsprojekte, in denen Flüchtlinge und Vertriebene versuchen, sich wieder zu einer selbstbestimmten Gemeinde zusammenzufinden. Nach den furchtbaren Erfahrungen, die diese Menschen machen mussten, ist das ein mühsamer und riskanter, weil stetig von Rückschlägen bedrohter Prozess. Im April flogen wir erneut nach Sri Lanka. In der Küstenstadt Batticaloa hatte die Arbeit schon begonnen. Hier baute SEED provisorische Unterkünfte für muslimische Familien, die schon das zweite Mal alles verloren hatten: erst im Bürgerkrieg, dann durch den Tsunami. Die Leute wurden von Anfang an in die Arbeit mit einbezogen, halfen beim Bau der Häuser, bei der Anlage von Brunnen und Wegen, bei der Errichtung einer Schule. Einige Kilometer weiter hatte SEED ein weiteres Grundstück für ein zweites Wiederansiedlungsprojekt erworben. Das erste trägt den Namen Ollikulam, das zweite wird Manmunai heißen.

Vom Helfen in die Krise

Auch in Mullaittivu gingen die Dinge voran, hier kümmerte sich Singham um obdachlose tamilische Familien. Während die beiden Gründer die Tsunami-Projekte betreuten, übernahmen die jüngeren Mitarbeiter die Verantwortung der im Landesinneren in Vavuniya gelegenen älteren Projekte. Die gezielte Übergabe der Verantwortung entspricht dem partizipatorischen Ansatz von SEED, der in der Organisation genauso ernst genommen wird wie im Umgang mit den Flüchtlingen. Gemeinsam mit Singham und Ganesh entschieden wir, dass medico das Siedlungsprojekt Manmunai für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren finanzieren würde. Dann, so die Einschätzung von SEED, könnte Manmunai eine selbstständige, ihre Angelegenheiten eigenverantwortlich regelnde Gemeinde von Leuten sein, die wieder einen Ort des Lebens gefunden haben. Wir kehrten nach Deutschland zurück. Wenige Wochen später erhielten wir die Nachricht, dass SEED in Schwierigkeiten steckte. Das aus der Tsunami-Hilfe resultierende neue Engagement an verschiedenen Orten stellte das Projekt auf eine harte interne Bewährungsprobe. Der Kommunikations- und Führungsstil der beiden Gründerväter von SEED kollidierte. Einerseits der eher intellektuell und polyglott wirkende Singham, andererseits Ganesh, ein eher praktischer Typ, mit einem guten Gespür für die Möglichkeiten in der traditionellen tamilischen Gesellschaft. Jetzt, nach der Flut, wollten sie, die jahrelang alles geteilt hatten, jeweils eigene Wege gehen – ohne die Ideale von SEED aufgeben zu wollen, wie sie uns in Briefen nach Frankfurt mitteilten. Sofort fragten wir uns, wie nun die schnelle Hilfe für die wartenden Menschen vor Ort weiter umgesetzt werden kann.

Partnerorientierte Lösungswege

Mitte Juli reisten wir erneut in den tamilischen Osten Sri Lankas. Wir sahen eine vom Krieg gezeichnete Landschaft. Getarnte Unterstände der Armee säumten unseren Weg. In den verstreuten Siedlungen seitlich der Straße trugen fast alle Hütten und Häuser Schuss- und Brandspuren. Mit Ganesh fuhren wir gemeinsam in die Projektorte Ollikulam und dann nach Manmunai. Während wir in der quirligen Geschäftigkeit Ollikulams auf Leute trafen, denen ein Neuanfang zu gelingen schien, befand sich das Lager von Manmunai in einem trostlosen Zustand. Die Leute lebten noch immer in Zelten und waren auf fremde Hilfe angewiesen. Mehrere Familien hatten das Lager bereits verlassen. Wir sprachen erst mit Ganesh, wenige Tage darauf mit Singham. Ein Vorschlag wurde erarbeitet: Würden alle Projekte unter dem Dach von SEED fortgeführt, könnten wir unbürokratisch sofort die Mittel übergeben, den Leuten von Manmunai aus ihrer Not zu helfen. Beide entschlossen sich, nicht aufzugeben. Ein Übereinkommen für eine geregelte Weiterarbeit wurde gefunden und endlich konnte es in Manmunai beginnen.

Vorboten eines erneuten Krieges

Noch Ende Juli führte SEED, gemeinsam mit den Familien, die in das von medico geförderte Projekt in Manmunai zurückkehren wollten, einen Workshop über die langfristigen Perspektiven für das wieder zu errichtende Dorf durch. Dann kam eine neue Hiobsbotschaft. Die Verwaltung in Batticaloa verweigerte das zugesagte Land und erklärte, dass die Leute von Manmunai und Ollikulam keine Tsunami-Opfer seien, weil die Gegend von dem Seebeben nicht betroffen wurde. Ganeshs Einspruch, dass sie ja nicht dort, sondern an ihrem zwischenzeitlichen Wohnort an der Küste zum Opfer der Fluten geworden seien und deshalb nach Manmunai und Ollikulam zurückgekehrt wären, den Orten, von denen sie der Krieg vertrieben hatte, wurde zurückgewiesen. Die Distriktbehörde bot im Gegenzug an, 200 unversorgte, ebenfalls in Zelten lebende Familien zu betreuen. Diese waren nicht muslimischer, sondern wie der zuständige Beamte selbst tamilischer Herkunft. Zusätzlich verschärfte die Ermordung des srilankischen Außenministers die Lage in Batticaloa. Seitdem kommt es in der Region, in der sowohl das singhalesische Militär wie auch die Tamil Tigers operieren, nachts wieder zu tödlichen Übergriffen. In dieser angespannten Atmosphäre verhandelte Ganesh mit den Behörden - mit Erfolg: der Baustopp wurde Anfang September aufgehoben. Jetzt will SEED bis Mitte Oktober, dem Beginn der Regenzeit, die Siedlung für 14 muslimische und zwei tamilische Großfamilien fertigstellen.

Thomas Seibert


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