»In der ersten Initifada war ich zweimal in israelischer Haft in der Negev-Wüste; jetzt bauen sie das Gefängnis um uns herum«. So kommentiert der lokale Direktor der UPMRC-Gesundheitsdienste in Qalqilia den Mauerbau rund um seine Stadt mit 40 000 Einwohnern an der Grenze der Westbank – das dies eine »vorübergehende Sicherheitsmaßnahme « ist, wie die israelische Regierung beteuert, glaubt ihr nicht einmal die USRegierung, eher sollen Fakten geschaffen werden für die endgültigen Grenzverlauf zwischen israelischem und palästinensischem Territorium.
Roadmap to Peace – Der Name des aktuellen Friedensplanes zwischen Israel und Palästina könnte treffender nicht sein. Um Wege, Straßen, Mobilität und ihre Verhinderung dreht sich das Leben in den palästinensischen Gebieten seit dem Beginn der 2. Intifada vor drei Jahren. Straßensperren, fliegende und feste militärische Kontrollstellen, Ausgangssperren, Belagerungen, Sicherheitszäune, Mauern zerteilen Westbank und Gazastreifen in viele kleine Flecken, die Reisen zwischen den Inseln werden immer noch zu unkalkulierbaren, oft stundenlangen Odysseen. Für Kranke und Verletzte, ist medizinische Hilfe dadurch oft nur schwer – und manches Mal zu spät erreichbar.
Gegen diese anhaltende Isolation sind die 16 mobilen medizinischen Teams der Union of Palestinian Medical Relief Committees (UPMRC), die jede Woche fast 60 Dörfer besuchen, ein ebenso symbolisches, wie konkretes Zeichen für die Menschen in den umschlossenen Orten, dass sie nicht vergessen werden. Diese Teams erreichen ihr Ziel oftmals nur unter enormen Schwierigkeiten, stundenlangen Fahrten über Schleichwege zur Umgehung von Straßenblockaden und israelischen Armeeposten.
Dr. Mohamad Iskafi, der Koordinator der Mobilen Kliniken beschreibt das mit seinen Worten: »Wenn wir uns bei den Gemeinden zu einem Mobile- Clinic-Tag anmelden, dann kommen wir auch, egal, wie lange es dauert, oder wie kompliziert der Weg ist. Wir kommen vielleicht spät, aber wir kommen auf jeden Fall. Die Gemeinden wissen, dass sie sich darauf verlassen können. Und wenn es sich an einem Tag herausstellt, das es tatsächlich völlig unmöglich ist, dorthin zu kommen, dann kommen wir am nächsten Tag«. Diese mobilen Gesundheitsdienste, mit denen 1979 die Arbeit der UPMRC als ehrenamtliche Initiative von Palästinensischen Ärzten begann, um die mangelhafte medizinische Versorgung in den von der israelischen Besatzung besonders vernachlässigten ländlichen Gebieten der Westbank und des Gazastreifens zu verbessern, stand von Anfang an unter dem Motto: Gesundheit für alle. Gleichberechtigter, sicherer Zugang zu bezahlbaren Gesundheitseinrichtungen und die Förderung gesunder Lebensbedingungen.
Ihr Engagement war ein Protest gegen die israelische Politik, die in den besetzten Gebieten nur einen Bruchteil der Mittel pro Person für Gesundheitsdienste einsetzte, die in Israel zur Verfügung standen. Und mit der Konzentration auf die abgelegenen ländlichen Gebiete setzten sie die Ideen des Primary Health Care Gedankens um, der eine gerechtete Verteilung der Ressourcen für Gesundheit zum Ziel hatte.
Aus den freiwilligen Hilfseinsätzen entstand eine feste Organisation, die über die mobilen Kliniken hinaus auch dauerhafte Gesundheitszentren betrieb und systematisch eine Basisgesundheitsversorgung mit eigenen Ausbildungs- Logistik- und Dokumentationskonzepten fortentwickelte. Eine zentrale Rolle übernehmen dabei die Gesundheitsarbeiterinnen, die das Kernpersonal der Gesundheitszentren darstellen. Ihre Ausbildung in der UPMRC Schule für Gemeindegesundheit in Ramallah ist zugleich eine Intervention in die traditionellen palästinensischen Lebenswelten, in denen Frauen immer noch selten eigene Perspektiven jenseits von Familie und Mutterschaft entwickeln können.
Zentrum für Basisgesundheit
Diese aktuell 25 Gesundheitszentren sind nicht nur eine erste Anlaufstelle für die Menschen der umliegenden Dörfer bei gesundheitlichen Problemen, sie betreiben auch eine beständige, hartnäckige Werbung für individuelle und gemeinschaftliche Gesundheitsförderung, das Engagement für bessere Wasserversorgung und Abfallbeseitigung ebenso wie die Integration behinderter Kinder in die Familien und die Dorfgemeinschaft.
Dieses langfristige Interesse an einer weitergehenden Verbesserung von Lebensqualität und Gesundheit macht die UPMRC zu einem glaubwürdigen und anerkannten Partner der lokalen Gemeinschaften, die es auch erlaubt, den Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen, die traditionelle Hierarchien und Geschlechterrollen oftmals noch darstellen. Die große Vertrautheit mit den Lebensrealitäten und sozialen Verhältnissen macht den Patienten der Gesundheitszentren auch die Forderung der UPMRC verständlich, sich nach eigenen Möglichkeiten an der Finanzierung dieser Struktur zu beteiligen, um nicht vollständig von externer Finanzierung abhängig zu sein, sondern zumindest einen Teil der benötigten Mittel selbst zu generieren. Bis zum Beginn der zweiten Intifada im September 2000 wurde vor allem über den Verkauf der notwendigen Medikamente ein wichtiger Teil der Kosten gedeckt. Heute macht die wachsende Armut in den palästinensischen Gebieten durch die gestiegene Arbeitslosigkeit während der Intifada eine weitgehende Befreiung von Zuzahlungen nötig.
Recht auf Gesundheit weltweit
Schon zu Beginn der Arbeit beschränkte sich der Blick der UPMRC allerdings nicht auf die Palästinensischen Gebiete – die Idee des PHC hatte in vielen Regionen der Welt Fuß gefasst und die UPMRC wurde Teil des International People’s Health Council (IPHC), der die ursprüngliche Idee einer Gesundheitsförderung, die auch vor den notwendigen sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen für ein »gutes Leben« nicht zurückschreckt, vorantrieb. 1992 richtete UPMRC in Jerusalem die zweite internationale Konferenz des IPHC aus, an der Vertreter aus über 30 Ländern teilnahmen. Und eine Würdigung besonderer Art stellte im Mai 2001 die Auszeichnung der UPMRC mit dem Award for Health Development der Weltgesundheitsorganisation dar.
Betonte Unabhängigkeit
In der Oslo-Periode wurde die Zusammenarbeit mit dem nach 1994 entstandenen palästinensischen Gesundheitsministerium von zentraler Bedeutung, weil es der UPMRC zugleich darum ging, die Verantwortung der neuen staatlichen Strukturen anzuerkennen und zu fördern, aber auch ihre Eigenständigkeit und Kritikfähigkeit zu bewahren. Dies stellte sich als besonders wichtig heraus, als sich Tendenzen in der palästinensischen Autonomiebehörde entwickelten, die unabhängigen palästinensischen Organisationen, die in der Zeit der Besatzung entstanden waren, stärker kontrollieren zu wollen und sich gegen jegliche Kritik dieses Teils der Zivilgesellschaft an der eigenen Politik zu verwahren. Auch in der Auseinandersetzung mit den konservativen religiösen Kräften bezieht die UPMRC eindeutig Position. Die »dritte Alternative«, die Mustafa Barghouthi, der Präsident der UPMRC propagiert, bedeutet eine Option für eine demokratische, weltoffene und gerechte palästinensische Gesellschaft jenseits der autokratischen Fatah-dominierten Autonomiebehörde und der islamistischen Eiferer. Damit solche Optionen aber mehrheitsfähig werden können, braucht es einen lebensfähigen palästinensischen Staat. Ein Ende der israelischen Besatzung und die Auflösung aller Siedlungen sind dabei die Voraussetzungen, nicht jene Art von »Belohnung«, wie sie sich im aktuellen Vorschlag des Nah-Ost Quartetts präsentiert.
Andreas Wulf