Zwischen Streik und Kochkurs

Eine Gewerkschaft im rechtsfreien Raum

11.04.2011   Lesezeit: 6 min

Das erste Treffen mit Sri Lankas eigenwilligstem Gewerkschafter fand in Frankfurt am Main statt. Eine Kollegin von Brot für die Welt hatte uns dringend geraten, ihn vor seinem Rückflug nach Colombo zu treffen: Anton Marcus sei seit den „wilden Siebzigern“ einer der wichtigsten Aktivisten sozialer Bewegungen auf Sri Lanka und seither nicht nur dort zur Legende geworden. Wir verabredeten ein Wiedersehen gleich bei unserer nächsten Reise. Vor Ort wollten wir erfahren, was wir zusammen tun könnten, medico und die Gewerkschaft mit dem wenig einprägsamen „Kürzel“ FTZ&GSEU: Free Trade Zones and General Services Employees Union.

Katunayake – Sonderwelt mit beschränkter Haftung

In Colombo hielten wir uns gar nicht lange in Antons Büro auf, sondern fuhren mit einem klapprigen Kleinbus gleich raus zur 30 Kilometer entfernten „Freihandelszone“ Katunayake. Kaum hatten wir das von Polizei und privatem Sicherheitsdienst bewachte Haupttor passiert, wurde uns klar, dass wir in eine Sonderwelt geraten waren: Es war Schichtwechsel, und auf den Straßen zwischen den stacheldrahtbewehrten Fabrikanlagen sahen wir fast nur Frauen: Hunderte, Tausende, einzeln und in Gruppen, die meisten noch sehr jung. Schlagartig fielen uns die Geschichten von den massenhaften Frauenmorden in Mexiko sowie den mittelamerikanischen Ländern ein, und Anton bestätigte uns, dass Vergewaltigung und Mord auch die Frauen von Katunayake bedrohen – wenn auch nicht in mittelamerikanischem Ausmaß. „Wie in allen Zonen sind auch hier über achtzig Prozent der Belegschaften Frauen, wenige Kilometer von hier liegt eine Luftwaffenbasis, es gibt mehrere Jugendgangs.“ Sri Lanka hat 14 solcher Zonen mit über 250.000 Beschäftigen. Die oft unverheirateten Frauen kommen in der Regel von weit her und bleiben für mehrere Jahre in „ihrer“ Zone. Sie leben dort in kleinen, einstöckigen „boarding houses“, meist teilen sich drei Frauen ein Zimmer, draußen gibt’s eine nach den Seiten offene, überdachte Kochstelle, ein paar Behelfsduschen. Die Arbeitsbedingungen sind hart, das Regime der Aufseher rücksichtslos, der Lohn so niedrig, dass die meisten auch von sich aus täglich Überstunden machen. „Freihandelszone – das sollte heißen: gewerkschafts-, also rechtsfreie Zone“, sagt Anton und grinst, „das war und ist der Einsatz unserer Arbeit.“ Tatsächlich hat die Gewerkschaft illegal angefangen, gleich im vierten Jahr nach der Eröffnung der Zonen 1978, mit nur wenigen, verdeckt und ungeschützt arbeitenden Aktivistinnen und Aktivisten. „Es hat 18 Jahre gedauert, bis wir offiziell den Namen annehmen konnten, den wir jetzt stolz und legal tragen. Heute haben wir 16.000 Mitglieder, sechzig Prozent sind Frauen, wir sind die stärkste Gewerkschaft der Zonen.“

Mit Grüßen vom Palm Village Hotel

Zum Erfolg der Gewerkschaft gehört, dass sie sich nicht nur um Lohn und Arbeitsrecht, sondern auch um die Gesundheit ihrer Mitglieder kümmert. Dass es um die miserabel bestellt ist, liegt an den Arbeitsbedingungen – und an fehlender Versorgung. Der Besuch des öffentlichen Krankenhauses erfordert Wartezeiten, die die Arbeiterinnen schlicht nicht haben, und die Privatärzte verschlingen im Nu ganze Monatslöhne. Seit Herbst letzten Jahres bietet FTZ&GSEU in Katunayake deshalb zwei Mal die Woche ärztliche Hilfe an – vor Ort im Büro, nach Feierabend und mit der Hilfe medicos. Dem kleinen Bau mit nur drei Räumen wurde dazu ein zweites Stockwerk mit Warteraum und Behandlungszimmer aufgesetzt. Pro Sprechstunde werden dort rund zwanzig Frauen von einer Arzthelferin und einem Arzt versorgt, der tagsüber in Colombo arbeitet und seinen Dienst gegen ein eher symbolisches Entgelt tut – ebenfalls nach Feierabend. Zum Service gehört eine kleine Apotheke mit den Medikamenten des unmittelbaren Bedarfs. Eher symbolisch fällt auch das Entgelt aus, das die Gewerkschaft Mr. Gamage zahlt, dem Koch des Palm Village Hotels, den man in Sri Lanka aus dem Fernsehen kennt. Den gewann sie zum Kochkurs exklusiv für Aktivistinnen, natürlich ebenfalls nach Feierabend. Der fällt kurz genug aus, und das ist das Problem, das Mr. Gamage zu lösen hilft. Denn mehr als eine halbe Stunde haben die Arbeiterinnen nicht, um sich im Funzellicht ihrer Kerosinkocher das Abendessen zu bereiten; die Einkäufe müssen gleich auf dem Heimweg am Straßenrand erledigt werden. Was kauft man da, wie viel, was ist gesund, schmeckt und kann doch schnell zubereitet werden? Das sind die Fragen, auf die Mr. Gamage und der mit ihm zusammenarbeitende Ernährungsberater die Antworten wissen. Wichtigste Bedingung: Einkaufen und Kochen müssen gemeinsam erledigt werden, auch da kommt man allein nicht zurecht. Der Hotel- und TVMaestro führt seine Kunst vor fünfzig Frauen im roten Zelt der Gewerkschaft vor, unter einer weißen Kochmütze ein selbstgebasteltes Draht-Geflecht samt Mikro.

Die Früchte des Webstuhls

Gerade weil die Gewerkschafterinnen so erfolgreich sind, versucht die Firma Bratex, ihre Fabrik in Katunayake wieder rechtsfrei zu machen. Anfang Februar traten dort mehr als eintausend Arbeiterinnen in Streik, weil Bratex zugesagte Sonderzahlungen einbehielt. Die Firma schlug zurück: 33 Arbeiterinnen wurden entlassen, an den Fabrikmauern wird steckbrieflich vor den Aufrührerinnen gewarnt. Die örtliche Polizei ist dem Freihandel gern behilflich: mehrere Gewerkschafterinnen wurden zwischenzeitlich verhaftet, Vermittlungsgespräche vor dem Arbeitsgericht von der Firmenleitung eigenmächtig verweigert. Doch hat die Gewerkschaft erreichen können, dass sich jetzt ein „Ombudsmann“ des Weltkonzerns einschaltet: „So schnell wird man uns nicht los“, sagt uns Anton am Telefon, „da haben sich schon andere die Zähne ausgebissen.“

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Sri Lankas Spitzenkoch empfiehlt den Freihandelsarbeiterinnen:

Free Trade Zone Curry à la Gamage

200g Reis, 250g Fisch (Thunfisch, Hering), 250g verschiedene Gemüse (Karotten, Kartoffeln, Lauch, Kohl), Kokosmark, 2 Zwiebeln, 1 Zitrone, Gewürze: Chilischote, Curryblätter und -pulver, Knoblauch, Ingwer, geröstetes Chilipulver, 2 Tassen Kokosmilch, Öl Ingwer, Knoblauch und Zwiebel klein schneiden, Curry- und Chillipulver hinzufügen und gut mischen. Fisch säubern, schneiden und hinzufügen, alles salzen, etwas Wasser beimischen.

In der Pfanne Öl erhitzen, die Curryblätter hineinstreuen, dann die Fisch- und Gewürzmischung kurz anbraten, den Deckel schließen und 10 Minuten köcheln lassen. Kokosmilch hinzufügen und sanft in 5-10 Minuten zum Kochen bringen. Vom Herd nehmen, mit Zitrone abschmecken.

Kartoffeln, Karotten, Lauch putzen und klein schneiden, in erhitzte Pfanne einstreuen, salzen, Kokosmilch, Zwiebel und Chilischote (nach Wahl!) hinzufügen, sanft kochen. Kohlblätter klein hacken, mit Kokosmark mischen und hinzufügen, fortlaufend gefühlvoll umrühren. Den Reis traditionell kochen. Dem Reis auf dem Teller fügt man das Fisch- und Gemüsecurry hinzu. Es wird mit den Fingern gegessen, wobei Reis, Fisch- und Gemüsecurry mehr und mehr vermischt werden.

Projektstichwort

Der Einsatz der medico-Partner ist bewusst für alle gedacht – keine Selbstverständlichkeit im Nachkriegsland Sri Lanka, in dem Tamilen weiterhin ausgegrenzt leben. Die Gewerkschafter bauen daher landesweit ein „Inter-ethnic Women Workers Network“ für singhalesische, tamilische und muslimische Arbeiterinnen auf. Denn Freihandelszonen werden jetzt auch im tamilischen Norden eröffnet: mit Dumpinglöhnen noch unter denen, die im singhalesischen Süden mittlerweile gezahlt werden müssen. Unser Spendenstichwort: Sri Lanka.


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