Zentralamerika

Ansteckender Autoritarismus

19.12.2022   Lesezeit: 7 min

Claudia Paz y Paz hat in Guatemala hohe Militärs wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gebracht. Wie sieht sie die Zukunft der Demokratie in der Region?

medico: Dein Werdegang ist eng mit den Kämpfen um Demokratisierung in Zentralamerika verknüpft. Wie genau?

Claudia Paz y Paz: Ich war Generalstaatsanwältin in Guatemala und habe in dieser Funktion Drogenhändler und hochrangige Militärs wegen ihrer Verantwortung in schweren Fällen von Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gebracht. Deshalb wurde ich vor Ablauf meiner Amtszeit aus dem Amt gedrängt und musste 2014 mit meiner Familie das Land verlassen. Als Teil der Interdisziplinären Gruppe unabhängiger Experten, die von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eingesetzt wurde, habe ich das Verschwinden der 43 Lehramtsstudierenden von Ayotzinapa in Mexiko untersucht und 2018 in Nicaragua die gewaltsame Niederschlagung der Oppositionsbewegung.

Nach einer Zwischenstation in Washington hatte ich 2019 das Privileg, nach Zentralamerika zurückkehren und hier weiterarbeiten zu können. Meine derzeitige Mitarbeit am Zentrum für Justiz und internationales Recht (CEJIL) in Costa Rica erlaubt mir eine regionale Perspektive auf die Probleme Zentralamerikas. Wir vertreten Fälle von Menschenrechtsverletzungen vor dem Interamerikanischen Gerichtshof, unterstützen indigene Gruppen, Menschenrechtsverteidiger und andere bedrohte Gruppen bei Schutzmaßnahmen und versuchen, durch Lobbyarbeit Einfluss auf die Regierungen in der Region zu nehmen.

Wie steht es um die Demokratie in Zentralamerika?

Der Verfall, den wir beobachten, ist offensichtlich und er ist gravierend. Am eindeutigsten und schlimmsten ist es sicher in Nicaragua, wo wir einen über Jahre andauernden Prozess der Aneignung von Macht und Kontrolle erleben: über den Obersten Gerichtshof, über das Parlament und den ganzen öffentlichen Sektor. Die Annulierung jeglicher Opposition kulminierte in den illegalen Verhaftungen und der Kriminalisierung von Politikern, Menschenrechtsverteidigern, Journalisten, Bauern und Studierenden. Diese autoritäre Entwicklung war geradezu ansteckend und hat sich auf die anderen Länder der Region übertragen, vor allem auf Guatemala und El Salvador. In Guatemala wurden zwar noch keine Nichtregierungsorganisationen verboten, aber Gesetze zur Kontrolle der NGOs geben der Regierung sehr viel Macht über sie. In El Salvador konnten die europäischen Länder ein ähnliches Gesetz noch verhindern.

Kannst du die Auswirkungen des Autoritarismus näher beschreiben?

Gravierend ist die Einflussnahme auf die Justiz. In Nicaragua wurden unabhängige Richter aus dem Obersten Gerichtshof gedrängt und die Amtszeit des Ortega-nahen Teils der Richter illegal verlängert. Das gleiche passierte in Guatemala, wo gleichzeitig unabhängige Richter, Staatsanwälte, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger mit Prozessen überzogen werden. Die frühere Ermittlerin der inzwischen geschlossenen Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit (CICIG), Virginia Laparra, sitzt seit Monaten im Gefängnis. Ebenso der bekannte Journalist José Rubén Zamora, dessen Zeitung elPeriódico ihr Erscheinen einstellen musste. Diese politische Verfolgung führt zu einem Exodus. Erst vor kurzem war ich in Washington bei einem Treffen von gut dreißig Richtern und Staatsanwälten, die Guatemala verlassen und in den USA Asyl beantragt haben. Und genauso geht es anderen verfolgten Gruppen.

In El Salvador hat Präsident Bukele im Frühsommer 2022 kurzerhand fünf Richter der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs, die ihm nicht gepasst haben, abgesetzt und sie durch ihm ergebene Richter ersetzt. Eine Gesetzesänderung hat außerdem ein Drittel aller aktiven Richter im Land in den vorzeitigen Ruhestand befördert. Was unter dem derzeit immer wieder erneuerten Ausnahmezustand passiert, kann deshalb juristisch nicht mehr kontrolliert werden. Junge Männer, die vermeintlich den Gangs angehören, werden massenhaft verhaftet und haben keine Chance auf ein ordentliches Gerichtsverfahren. Stattdessen werden sie in Gruppen zu zwanzig abgeurteilt: Aber niemand weiß, was eine einzelne Person gemacht hat.

In Honduras haben wir den gleichen Umgang mit dem Justizsystem erlebt. Dort wurden 2012 Richter am Obersten Gerichtshof unrechtmäßig abgesetzt, nachdem sie verschiedene Gesetze für verfassungswidrig befunden hatten. Der Regierungsantritt von Xiomara Castro gibt dagegen ein bisschen Hoffnung für die Zukunft. Nicht dass alles gut wäre, vieles ist sehr bedenklich, aber es passiert eben doch etwas: Menschenrechtsverteidiger wurden freigelassen, es gibt eine Opposition, in der sich die vorherige Regierungspartei nun befindet. Insofern ist die Lage hier schon anders.

Was siehst du zurzeit als größte Hürde für eine Demokratisierung in Zentralamerika?

Es ist nicht überall gleich, aber in Guatemala herrschen durch und durch korrupte Eliten, die den Staat kontrollieren, um die öffentlichen Kassen zu plündern. In El Salvador, wo die Korruption auch enorm ist, liegt die Sache etwas anders aufgrund der großen Unterstützung für Bukele aus der Bevölkerung. Obwohl infolge der hohen Inhaftierungsrate im Land jede Familie jemanden aus ihrem Umfeld im Gefängnis haben müsste, glauben die Menschen an ihn.

Warum ist das so?

Weil das Problem der Gangs real ist. Sie kontrollieren ganze Stadtviertel, Bewohner dürfen ohne Erlaubnis nicht ihr Viertel verlassen, andere nicht ohne Genehmigung hineinkommen, viele Menschen zahlen Schutzgeld. Das hat sie verzweifeln lassen und so unterstützen sie, dass zumindest irgendetwas passiert.

Erleben wir derzeit eine Welle des Autoritarismus oder die Rückkehr des caudillismo, also die Herrschaft charismatischer Führer?

Ich würde das Phänomen als Autoritarismus beschreiben. In Guatemala ist jeder Präsident schrecklich, egal ob er Giammattei, Morales oder anders heißt. Die Kontrolle über den Staatsapparat bleibt in den gleichen Händen. Wer die Regierung anführt, ist nicht entscheidend, sondern das System dahinter.

Welche Merkmale zeichnen diesen Autoritarismus aus?

Ein verbindendes Element, das voneinander kopiert wurde, ist definitiv der Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz. Hinzu tritt die Einschränkung des Rechts auf Vereinigung – also Organisationsverbote und -behinderungen der Vereinigungsfreiheit. Am stärksten in Nicaragua, wo inzwischen über 3000 Organisationen verboten wurden. Aber Guatemala und El Salvador haben ihre bereits erwähnten Gesetze zur Kontrolle der NGOs von Nicaragua abgeschrieben. In allen Ländern sehen wir eine Zensur und Kriminalisierung der freien Presse. In Nicaragua wurden Medienhäuser geschlossen, deren Leitung verhaftet oder ins Exil getrieben. Verfolgt werden aber auch freie Journalisten und die kommunale Berichterstattung über Extraktivismus. Das Haus des Journalisten Juan Bautista Xol, der über das Minenprojekt im guatemaltekischen El Estor berichtete, wurde von einem Großaufgebot der Polizei durchsucht. Erschreckend ist die Denunziation und Kriminalisierung von Mitarbeitern des investigativen Nachrichtenjournals El faro In El Salvador.

Das sind verbindende Tendenzen in der ganzen Region. Und zumindest in Nicaragua und Guatemala gibt es zurecht überhaupt kein Vertrauen in die politischen Parteien und das Wahlsystem. Die Geschichte der Länder hat Parallelen: Guatemala, El Salvador und Nicaragua haben jeweils eine Geschichte der Kriege. Der Frieden, der diese Kriege beendete, war nicht vollständig. Die historisch gewachsenen Strukturen wurden nicht verändert. Am deutlichsten sieht man das in Guatemala, ebenso in El Salvador.

Was für Optionen bleiben den demokratischen Akteuren und siehst du erfolgversprechende Ansätze für sie?

In Guatemala und El Salvador erleben wir einen Exodus von Führungspersönlichkeiten aus sozialen Bewegungen, von Richtern, Staatsanwälten, Journalisten. Die Besten und Mutigsten gehen. Für die, die bleiben, bleibt nur der Gehorsam gegenüber der Macht. Dazu kommt natürlich die Migration von unzähligen Menschen aus ökonomischen Gründen und wegen der anhaltenden Gewalt.

Gleichzeitig gibt es aktive Widerstandsbewegungen: In Guatemala und ebenso in Honduras scheint mir der Widerstand der indigenen Völker gegen die extraktiven Industrien und ihre Großprojekte am wichtigsten. Hier sind die sozialen Strukturen am stärksten ausgeprägt. Für Nicaragua und El Salvador ist es schwieriger zu sagen, wo Brüche verlaufen können. Vieles was in Nicaragua passiert, bleibt wegen der Repression unsichtbar. Ich will sagen, hoffentlich passiert etwas im Land. Von außen ist die Einflussnahme schwer.

Zentralamerika hat eine lange Geschichte äußerer Interventionen gegen demokratische Entwicklungen. Kann äußere Einflussnahme heute eine positive Rolle spielen und eine Demokratisierung unterstützen?

Im Fall von Guatemala und El Salvador sieht man recht deutlich, dass es auf der internationalen Ebene vor allem um eine Begrenzung der Migration Richtung USA geht und es kein ernsthaftes Bemühen gibt, demokratische Bewegungen zu stärken, keine Förderung des Kampfes gegen die Korruption und die Straflosigkeit. Erst vor wenigen Wochen haben die USA Guatemala dutzende Militärfahrzeuge geschenkt, um die „Sicherheit der Grenzen“ gewährleisten zu können. Das gleiche in El Salvador: Es wird zwar Kritik an Bukeles autoritärem Kurs geäußert, aber das war es auch. Der internationale Druck auf die Regierenden in Zentralamerika zur Einhaltung rechtsstaatlicher Normen könnte stärker sein. Die Sanktionen gegen spezifische Gruppen in Nicaragua sind aus meiner Sicht ein Schritt in die richtige Richtung und bringen hoffentlich positive Ergebnisse.

Das Interview führten Jana Flörchinger und Moritz Krawinkel.


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