Vom Zuzug weiterer Geflüchteter schottet sich Israel durch den Grenzzaun zu Ägypten ab. Das Internierungslager Holot ist demgegenüber eine nach innen gerichtete Maßnahme gegen diejenigen, die sich bereits im Land befinden. Die „Eindringlinge“, wie Asylsuchende in Israel im entsprechenden Gesetz genannt werden, sollten durch die harschen Bedingungen des Camps in der Wüste soweit zermürbt werden, dass sie ihrer Abschiebung in ein afrikanisches Drittland bzw. in ihre Herkunftsländer zustimmen würden.
Politik des Ausschlusses
Das Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen, zu dessen Vertragsparteien auch der Staat Israel zählt, schreibt die individuelle Prüfung des Flüchtlingsstatus vor. Die israelische Regierung blockierte aber die Zulassung zu diesem Verfahren für Geflohene aus Eritrea und Sudan jahrelang mit dem Hinweis, die Betroffenen seien auf Grund ihrer Herkunft als Gruppe geschützt, weil Israel sich verpflichtet hat, nicht in diese beiden Länder abzuschieben.
Obwohl die Regierung damit faktisch anerkannte, dass die Geflüchteten aus legitimen Gründen Eritrea und Sudan verlassen hatten, war sie nicht gewillt, deren Status als Schutzberechtigte voll umfänglich zu akzeptieren. Bis Ende 2013 machten es die Behörden den Betroffenen praktisch unmöglich, überhaupt einen Asylantrag zu stellen. Stattdessen waren sie gezwungen, laufend ihre Aufenthaltstitel zu verlängern – mit oft willkürlich festgelegten Ergebnissen von zwei Wochen bis zu sechs Monaten (im Schnitt zwei bis drei Monate).
Sie haben kein Recht auf Arbeit, sind von der Gesundheitsversorgung weitestgehend ausgeschlossen (lediglich medizinische Notfälle werden behandelt, Nachsorge gibt es dagegen nicht) und sind sozial nicht abgesichert. Israelische Arbeitgeber konnten über die Jahre vor allem im Hotel- und Gastronomiegewerbe dennoch über 12.000 Geflüchtete außerordentlich beschäftigen. Der Staat erteilte in diesen Fällen Sondergenehmigungen; eine unbekannte Zahl von Geflüchtete arbeitete außerdem ohne Erlaubnis, in der Regel unter prekären Bedingungen. Die Behörden sahen weg. Es blieb auch wenig anderes übrig, wenn die Regierung nicht die völlige Verelendung dieser Minderheit in Kauf nehmen wollte, gerade angesichts der Tatsache, dass sie selbst diese Menschen nicht versorgen wollte und systematisch sich selbst überließ.
Refugees not welcome
Im letzten Quartal des Jahres 2013 begann der israelische Staat schließlich doch damit, Einzelfälle zu prüfen. Seither sind rund 15.400 Asylanträge gestellt worden – aber nur 10 Eritreer und ein Sudanese sind bisher als Flüchtlinge anerkannt worden. Weiteren 200 Sudanesinnen und Sudanesen hat der israelische Staat eine Art vorläufiges humanitäres Bleiberecht zuerkannt. Fast alle kommen aus Darfur und sind vor der Gewalt der mit dem Regime Omar Al-Bashirs verbündeten Milizen geflohen.
Mit einem Anteil von rund 90 Prozent kommt die Mehrheit der afrikanischen Asylsuchenden in Israel aus Eritrea (72 %) und Sudan (20 %) und ist somit „nicht abschiebbar“. Um die Zahl der ungeliebten Asylsuchenden trotzdem zu reduzieren, intensivierte die israelische Regierung einerseits den Druck im Inneren: Als der Staat sich gezwungen sah, die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom August 2015 umzusetzen und knapp 1.200 Flüchtlinge nach über 12monatiger Internierungszeit aus Holot zu entlassen, verbot der damalige Innenminister Gideon Sa’ar bei Strafe ihre Rückkehr nach Haifa und Tel Aviv – eine strategische Entscheidung zur weiteren Prekarisierung der Geflüchteten. Viele hatten in Tel Aviv gelebt, sich dort soziale Strukturen aufgebaut und zum Teil Arbeit gefunden, bevor sie nach Holot kamen. Die Flüchtlinge, die an der Grenze zu Ägypten aufgegriffen worden waren, waren zunächst nach Tel Aviv gebracht und dort von den Behörden registriert worden. Die meisten waren geblieben, andere weiter nach Haifa gezogen, das, wie Tel Aviv, im Vergleich zu anderen israelischen Städten als liberaler gilt. Diejenigen, die dennoch zurückkehrten, wurden teilweise verhaftet. Innenminister Sa‘ar erklärte Anfang 2014 im Fernsehen: „Die Absicht unserer Politik ist es, die Illegalen dazu zu ermutigen zu gehen. Wir beginnen bereits, Resultate zu sehen. Hochrechnungen ergeben, dass etwa 5.000 jährlich das Land verlassen“. Die Rechnung ging bisher auf.
Andererseits erhöhte die Regierung auch deutlich die Anreize, Israel wieder zu verlassen: Die Prämie für Personen, die ihrer Ausreise bzw. der eigenen Rückführung zustimmten, wurde erstmals im Dezember 2013 in einem Pilotversuch von zuvor 1.500 US Dollar auf 3.500 US Dollar erhöht. Ein solches Vorgehen lässt sich übrigens auch in Deutschland beobachten, und keineswegs nur gegenüber abgelehnten Schutzsuchenden. Hierzulande sollen auch diejenigen Prämien erhalten, die ihren Asylantrag zurückziehen und auf einen Einspruch gegen die Ablehnung verzichten, um das Land zu verlassen.
Nachdem sich die Zahl der Flüchtlinge, die Israel monatlich verließen, von November 2013 bis Januar 2014 bereits verzehnfacht und die Zahl im Februar und März 2014 ein neues Rekordhoch von 1.705 und 1.507 Personen erreicht hatte, wurde das Programm verstetigt. Noch bis Ende März 2018 werden jedem ausreisenden Flüchtling 3.500 US Dollar gezahlt. Ab April wird dieser Anreiz dann sukzessive abgesenkt, während der Druck auf diejenigen erhöht werden soll, die Israel nicht verlassen wollen. Bis dato haben ca. 20.000 Personen Israel wieder verlassen. Alleine zwischen Januar und November 2016 hat Kanada 910 eritreische Geflüchtete aus Israel aufgenommen. Andere hatten weniger Glück und machten sich nach ihrer Deportation nach Ruanda in Richtung Libyen auf – in einigen Fällen mit tödlichem Ausgang, wie der medico-Partner Physicians for Human Rights – Israel (PHR-IL) recherchierte. Andere schafften es über Ruanda oder Uganda via Libyen nach Deutschland oder Italien.
Kein Staat für alle
Schon 2013 ließ Premierminister Benjamin Netanjahu keinen Zweifel daran, welches Ziel insgesamt verfolgt wurde und er begründete die Prämienzahlungen als „angemessen und notwendig, um den jüdischen und demokratischen Charakter des Staates zu bewahren und die Sicherheit der Bürger Israels wiederherzustellen.“ Dass bei diversen Spitzenpolitikerinnen und -politikern immer stärker der jüdische Charakter Israels im Vordergrund steht, zeigt Aussagen wie die von Netanjahus Parteigenossin Miri Regev (Likud), aktuell Kulturministerin, die sudanesische Asylsuchende schon im Mai 2012 als „einen Krebs in unserem Körper“ bezeichnete. Justizministerin Ayelet Shaked stellte jüngst klar: „Israel ist zu klein und hat seine eigenen Probleme. Es kann nicht als Arbeitsamt für den afrikanischen Kontinent dienen.“
Wenn aber die Asylsuchenden aus Afrika weniger als ein halbes Prozent der Gesamtbevölkerung Israels darstellen, ein Zuzug neuer Geflüchteter dank der Grenzanlage zu Ägypten praktisch nicht erfolgt und die Regierung die Schutzbedürftigkeit der Betroffenen indirekt ja anerkannt hat, wie der Beschluss zur nicht-Abschiebung nach Eritrea und Sudan zeigt, von welchen Problemen spricht Ayelet Shaked dann eigentlich? Die Antwort auf diese Frage findet sich in der laufenden Debatte zum Nationalstaatsgesetz und ist der ewige Elefant im Raum. Shaked sagte im Februar 2018: „Israel ist ein jüdischer Staat. Es ist nicht ein Land aller Völker, die hier leben. Gleiche Bürgerrechte ja, aber nicht gleiche nationale Rechte. […] Es gibt Stellen, an denen der Charakter des Staates Israel als jüdischer Staat aufrechterhalten werden muss, und das geht manchmal auf Kosten der Gleichheit.“ In ihrer Vision eines homogenen jüdischen Staates ist für Geflüchtete aus Afrika genauso wenig Platz wie für Palästinenserinnen und Palästinenser im Wunschdenken chauvinistischer Politikeliten in Israel.
Weiter zu Teil 3: Der Abschiebe-Plan
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