In den ersten beiden Texten der kurzen Reihe zur Situation Geflüchteter in Israel ging es um die Vorgeschichte zur Eskalation im Umgang mit der schutzsuchenden Minderheit. Der dritte Teil befasst sich mit den Planungen und ihrer Umsetzung.
Der Plan der Regierung ist denkbar einfach. Seine Stoßrichtung lässt sich kaum knapper zusammenfassen als in den Worten des Innenministers Arye Dery: „Wer nicht freiwillig ausreisen will, bleibt so lange in Haft, bis er sagt: 'Ich will.'“ In den nächsten zwei bis drei Jahren sollen möglichst 20.000 Asylsuchende dazu gebracht werden Israel zu verlassen. Im ersten Anlauf sollen vor allem alleinstehende Männer, also ein sehr großer Teil der Geflüchteten aus Eritrea und Sudan, inhaftiert bzw. möglichst direkt deportiert werden. Unter ihnen könnte nochmals unterschieden werden zwischen denen, die einen Asylantrag gestellt haben, und jenen, die das aus diversen Gründen nicht taten. Die Unzuverlässigkeit und Langsamkeit des Verfahrens in Israel sind allgemein bekannt, ebenso die im internationalen Vergleich verschwindend geringen Anerkennungsraten: während in Europa rund 90 Prozent der Asylanträge von Eritreer*innen positiv beschieden werden, waren es in Israel in der Vergangenheit weniger als 1 Prozent.
Bei der Entscheidung, in Israel schon gar keinen Antrag zu stellen, dürfte aber auch institutioneller Rassismus eine wesentliche Rolle gespielt haben. Der ist natürlich keineswegs eine israelische Eigenheit, sondern auch in Europa verbreitet und sicherlich ein Merkmal dieses Teils von Bürokratien weltweit: Gerade die Einrichtungen, zu deren Kernaufgaben der Umgang mit Geflüchteten und anderen Einwandernden gehört, machen den Neuankömmlingen oft schnell klar, dass sie hier nicht erwünscht sind. Gründe dafür gibt es viele: auf der individuellen Ebene Vorurteile gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen, aber sicher auch die Erfahrung, als Beschäftigte einer schlecht ausgestatteten Behörde mit der eigenen Überforderung alleingelassen zu werden. Auf der strukturellen Ebene bleibt der Widerspruch, als Amt für Flucht und Migration zuständig zu sein, während die Politik (und breite Teile der Bevölkerung) weder das eine noch das andere wünschen und die Fremden vor allem als Bedrohung, bestenfalls nur als Belastung sehen. Die Behörden, die für die Aufnahme oder zumindest doch Verwaltung jener zugezogenen Personen zuständig sind, mögen qua ihres Mandats unter dem übergeordneten politischen Ziel der Migrationsabwehr den „Gegenstand“ ihrer Beschäftigung nicht: fliehende und migrierende Menschen. So ist es nicht überraschend, dass auch in Israel Geflüchtete berichten, wie sie von Beamt*innen des Innenministeriums rassistisch angefeindet werden, also von jenen, die ihnen die Aufenthaltstitel verlängern sollen.
Mit Druck und Erpressung zum Ziel
Doch damit ist es jetzt für einen großen Teil der Menschen sowieso vorbei. Mit der jeweils fälligen Erneuerung der zweimonatigen Aufenthaltserlaubnis ist den Betroffenen mitgeteilt worden, dass sie binnen 60 Tagen das Land verlassen müssen. Andernfalls würden sie unbegrenzt in Saharonim inhaftiert, jenem Wüstengefängnis nahe der ägyptischen Grenze, das nur rund 2 km von der „offenen“ Internierungsanstalt Holot entfernt ist, die laut Regierungsbeschluss Ende März geschlossen werden soll. Es steht jedoch zu erwarten, dass faktisch nicht eine Schließung, sondern eine Umnutzung stattfinden wird: Von Anfang an wurde Holot von der Israelischen Gefängnisverwaltung betrieben. Was läge näher, als aus der vermeintlich offenen eine geschlossene Anstalt zu machen? Die Verwaltung hat die Regierung bereits gewarnt, dass das Gefängnissystem überhaupt nicht in der Lage sei, tausende „Eindringlinge“ aufzunehmen. Zusätzliche Kapazitäten würden also dringend benötigt.
Auch jene über 12.000 Menschen, die mit Billigung der Regierung schon jetzt unter schwierigen Bedingungen arbeiten (die meisten in Hotels und Restaurants), werden weiter systematisch prekarisiert: Seit dem Herbst 2017 müssen 16 Prozent ihres Bruttogehalts durch die Arbeitgeber in einen geschlossenen Fond eingezahlt werden. Vom Nettolohn dieser Arbeitnehmergruppe werden auf Anordnung des Staates weitere 20 Prozent einbehalten. Das Geld soll ihnen erst bei ihrer Ausreise ausgezahlt werden. Um die Beschäftigung Geflüchteter und anderer ausländischer Arbeitskräfte weniger attraktiv zu machen, müssen Arbeitgeber außerdem eine Sondersteuer von 20 Prozent entrichten. Wenige glauben daran, dass sie dieses Geld je ausbezahlt bekommen werden; viele arbeiten deshalb lieber ohne Papiere – zu noch schlechteren Bedingungen als sie in der Gastronomie und Hotellerie ohnehin gang und gäbe sind. Ob Leute, die so zur Ausreise gedrängt werden, dieses Geld bekommen oder nicht, stellt am Ende beinahe einen lediglich graduellen Unterschied der Ungerechtigkeit dar. Entscheidendend ist, dass Menschen, die am untersten Ende der Einkommensleiter stehen, rund ein Drittel ihres Lohnes vorenthalten wird. Damit ist für sie ein auch nur ganz bescheidenes Leben in Israel unmöglich. Selbst dann, wenn sie schlecht bezahlte Arbeit haben.
Das Ziel der Regierung ist, dass monatlich rund 600 Personen Israel verlassen, pro Jahr also etwa 7.000 Menschen. Wer sich bis Ende März dazu bereit erklärt, bekommt eine Prämie von 3.500 US-$. Ab April wird diese abgesenkt, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Bedrohungsszenarios der unbegrenzten Haft. Familien mit Kindern, anerkannte Opfer von Menschenhandel und die etwa 350 unbegleiteten Minderjährigen sowie alle mit einem noch anhängigen Asylverfahren sollen vorerst keine Ausweisungsbescheide zugestellt bekommen. Das reduziert die unmittelbar Betroffenen auf 15.000 bis 20.000 Personen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die vorerst ausgenommenen Gruppen in Israel Asyl erhalten. Das längerfristige Ziel der Regierung bleibt, sich aller „illegalen Eindringlinge“ (Premierminister Benjamin Netanyahu) zu entledigen.
Wer sich unter diesen Bedingungen für die Ausreise entscheidet, tut dies nicht mit freiem Willen, sodass von einer „freiwilligen“ Ausreise oder Rückkehr gar nicht die Rede sein kann. Den Weg für dieses verschärfte Vorgehen hat übrigens der Oberste Gerichtshof geebnet, als er die Politik der israelischen Regierung, Geflüchtete in afrikanische Drittstaaten zu verfrachten, für legitim befand. Dabei darf kein Land, welches – so wie der Staat Israel (oder die Bundesrepublik Deutschland, Stichwort: sicheres Herkunftsland Afghanistan u. a.) – die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert hat, Schutzsuchende zurückweisen. Die Abschiebung nach Ruanda (oder Uganda) stelle keine Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen dar, befand der Oberste Gerichtshof in Jerusalem, obwohl zahlreiche Schicksale derjenigen, die nach Ruanda oder Uganda verfrachtet worden sind, nachweislich das Gegenteil belegen.
We hire!
Im Zusammenhang mit dieser jüngsten Kampagne gegen Geflüchtete sollen Anfang April die ersten vor die Wahl gestellt werden zwischen Gefängnis und der Zustimmung zur eigenen Abschiebung. Dann nämlich läuft die sechzigtägige Frist jener Unglückseligen aus, die als erste ihre Ausweisungsbescheide erhielten. Allerdings dürften die Zahlen „freiwilliger Rückkehrer“ schon vorher in die Höhe schnellen, bevor Ende März das Angebot der Ausreiseprämie von 3.500 US-$ ausläuft.
Um jene aufzuspüren, die weder das Land verlassen noch ins Gefängnis gehen wollen, hat die israelische Regierung beschlossen 100 Inspektoren einzustellen und hat Prämien für die Bürger*innen ausgelobt, die sich an der Suche nach Geflüchteten ohne gültigen Aufenthaltstitel beteiligen. Auch das Personal zur Bearbeitung von Asylanträgen wird um 40 Stellen aufgestockt. Dabei geht es nicht nur um die Beschleunigung der Prüfung von mittlerweile knapp 16.000 – teils seit mehreren Jahren – vorliegenden Asylanträgen. Hauptziel dürfte angesichts der so gut wie nicht stattfindenden Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nicht die Legalisierung sein, sondern infolge von massenhaften Ablehnungen die rechtliche Grundlage dafür zu schaffen, auch diese Gruppe vor die Wahl Gefängnis oder Deportation zu stellen.
Neben dem zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen die Maßnahmen richten sich die Hoffnungen derzeit vor allen Dingen auf das Urteil eines Gerichts in Jerusalem: Dort wurde entschieden, dass der unbegrenzte Militärdienst in Eritrea (inklusive Zwangsarbeit und sexueller Versklavung von Frauen) sehr wohl ein Fluchtgrund sei, der die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus erfordere. Angesichts der unnachgiebigen Haltung der Regierung ist das nicht mehr als ein Strohhalm: Dasselbe Gericht war schon einmal im September 2016 zu eben diesem Urteil gekommen. Der Staat war in Berufung dagegen gegangen und hatte vor dem Jerusalemer Bezirksgericht Recht bekommen. Allerdings beließ die höhere Instanz die Möglichkeit, dass das untergeordnete Gericht sich nach genauerem Studium der Sachlage erneut mit dem Fall befasst. Genau dies ist geschehen und hat im Februar wieder zur selben Einschätzung des Gerichts geführt. Der Staat kann erneut Einspruch einlegen, was als wahrscheinlich gilt.
Bei all dem Gerede von „illegalen Eindringlingen“ oder gar einer „Terrorherrschaft illegaler Migranten“ im Süden Tel Avivs (stellvertretende Außenministerin Tzipi Hotovely, wie Netanyahu von der regierenden Likud-Partei) sollte nicht vergessen werden, woher die Betroffenen kamen und was sie hinter sich haben: im Fall der sudanesischen Geflüchteten Bürgerkrieg und (versuchter) Genozid. Menschen aus Eritrea sind aus einer Diktatur geflohen, deren eklatante Menschenrechtsverletzungen gegen die eigene Bevölkerung seit Jahren dokumentiert sind. Sie haben ihr Leben riskiert, um unter schwierigsten Umständen nach Israel zu gelangen – und es in vielen Fällen verloren bei dem Versuch, Verfolgung und Folter gegen das Leben in einem vergleichsweise demokratischen Staat einzutauschen. Diejenigen, die es geschafft haben, blicken in vielen Fällen auf eigene Gewalt- und Missbrauchserfahrungen zurück, auf den Verlust von Freunden und Familienangehörigen (z. B. eindrücklich geschildert in der Reportage „Im Reich des Todes“ des mehrfach ausgezeichneten Journalisten Michael Obert).
Auf gute Zusammenarbeit
Angesichts der jeweiligen Situation in Eritrea und Sudan und der Gründe für die Flucht willigten nur sehr wenige Personen in die Rückführung in ihre Herkunftsländer ein. Da die israelische Regierung weiterhin niemanden gegen seinen ausdrücklichen Willen dorthin abschieben kann, stand sie vor dem Problem, wohin sie die Betroffenen, die einer Ausreise zustimmen, bringen kann. Lange war von einem nicht genannten afrikanischen Drittland die Rede, zeitweilig auch von zweien. Mittlerweile ist klar, dass es Absprachen mit Ruanda gibt. Der Deal zwischen der Regierung Kagame und dem israelischen Staat wurde jedoch zur Chef- und vor allen Dingen zur Verschlusssache erklärt. Er wurde nicht nur komplett an der Knesset vorbei unterzeichnet; Abgeordnete haben auch weiterhin keinen Zugang zu den Einzelheiten der Absprache. Gerüchteweise soll die ruandische Regierung pro Flüchtling eine Prämie von 5.000 US-$ erhalten. Die ruandische Regierung bestreitet dies und negiert sogar, dass es überhaupt einen Deal gibt. Dasselbe gilt für die diktatorische Regierung des Nachbarlandes Uganda unter Yoweri Kaguta Museveni.
Betroffene, die selbst gegangen sind, melden aus Uganda und Ruanda, zum Teil aber auch aus europäischen Staaten nach Israel zurück, wie es Geflüchteten nach der Ausreise meist ergeht: Sie enden als Rechtlose in Ruanda, wo sie in vielen Fällen (von ruandischen Beamten oder mit ihr in Verbindung stehenden Personen) an den Einreiseschaltern im Flughafen von Kigali eher eingeschleust zu werden scheinen als regulär einzureisen. Das Ergebnis ist, dass sie von Anfang an keinen Aufenthaltsstatus in dem ostafrikanischen Land haben und dadurch in eine extrem prekäre Situation geraten. Sie werden erpressbar und verwundbar. Vor allen Dingen können sie das Land kaum regulär verlassen, weil der Einreisestempel fehlt und ihnen die Papiere abgenommen werden. Es sind Fälle dokumentiert, in denen diejenigen, die sie am Flughafen in Empfang nahmen, den Neuankömmlingen klarmachten, dass sie in Ruanda nicht bleiben könnten, da sie illegal im Land seien. Dieselben Personen schleusten sie dann als Schlepper über die Grenze nach Uganda. Wenn die Reise dort nicht vorerst in einem Flüchtlingslager endet, geht es dann über Süd-Sudan und Sudan weiter in Richtung Libyen oder Ägypten. Wer dort nicht in Lagern oder Gefängnissen endet, in denen unter den Augen Europas Schutzberechtigte gefoltert, vergewaltigt, mitunter als Sklavinnen und Sklaven verkauft werden, riskiert an der Nordküste Afrikas sein Leben, um all dem zu entkommen. Im Mittelmeer lauert der Tod oder es glückt die Überfahrt nach Europa.
Weiter zu Teil 4: Solidarität und Widerstand
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