Globales Pandemieabkommen

Unheilvolle Allianz

20.03.2024   Lesezeit: 3 min

In der Unterminierung der Pandemie-Prävention treffen sich der Ethnonationalismus einer radikalen Rechten und der Nationalismus des Wissens und der Ressourcen westlicher Regierungen.

Von Dr. Andreas Wulf

Das mit großer Verve Ende 2021 von den europäischen Staaten bei der Weltgesundheitsorganisation eingebrachte Pandemieabkommen soll schon im kommenden Mai verabschiedet werden. Dieser enge Zeitplan ist vor allem den kommenden US-Wahlen im Herbst geschuldet. Denn niemand weiß, ob nicht ein wiedergewählter Donald Trump alle Perspektiven eines multilateralen Vertragswerkes verunmöglichen wird. Parallel dazu laufen sich schon die rechtsextremen Kritiker:innen warm, hierzulande die AfD, in Österreich die FPÖ, in den USA machen verschiedene Republikaner Stimmung. Ihnen galt schon immer jedwedes internationale Abkommen als unzulässige Einschränkung der nationalen Souveränität.

So werden Bundestagsabgeordnete der AfD wie Christina Baum nicht müde, Falschaussagen beharrlich zu wiederholen und gar als Pressemitteilung zu verbreiten. Pünktlich zur wichtigen 8. Verhandlungsrunde Ende Februar behauptete die AfD, das Abkommen sehe vor, der WHO beziehungsweise ihrem Generaldirektor Dr. Tedros bei Eintreten einer erneuten pandemischen Situation „sämtliche Machtbefugnisse“ zu übertragen. Dass ein „Faktencheck“ der Deutschen Welle bereits im Juni 2023 mit diesen und anderen Verschwörungsmythen aufgeräumt hatte, beeindruckt die AfD-Abgeordnete offenbar wenig. Sekundiert wurde dies wenige Tage später von ihrem Kollegen Thomas Dietz, der die Wirksamkeit der Covid-19-Impfungen in Frage stellte und die Abschaffung der Duldungspflicht zur Impfung bei der Bundeswehr forderte.

Diese Art der Verteidigung eines nationalen „Souveränismus“ liegt in der DNA dieser Parteien. Die AfD entstand wesentlich aus der Ablehnung der Europäischen Regeln und den Brüsseler „EU-Bürokraten“, wie auch wieder im Herbst bei der Aufstellung ihrer Kandidat:innen und dem Wahlprogramm für die Europawahl zu sehen. Ihr „Europa der Vaterländer“ ist nur ein schlecht kaschierter Versuch, die Legitimität der supranationalen Institutionen der EU in Frage zu stellen.

Gerüchte ohne Faktenbasis

Zugleich wird mit der Infragestellung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei diesen neuen radikalen Rechten selbst eine strategische Nähe zu Strömungen sichtbar, die in der Covid-19-Pandemie drastisch an Zustimmung gewannen, sich in Großdemos der „Querdenker“ vor allem im Frühjahr und Sommer 2020 äußerten und dann nahtlos in den „Impfskeptizismus“ 2021 übergingen. Ähnlich wie bei der Leugnung der Klimakrise nutzt die AfD hier „Affektpolitiken“ um Zustimmung jenseits ihrer Kernklientel zu erreichen.

Diese „Infodemie“ der Falschmeldungen und über soziale Medien sich rasant verbreitende Gerüchte ohne Faktenbasis hat die WHO schon zu Beginn der Pandemie als eine der wichtigsten Aspekte benannt, die es zugleich mit der Pandemie zu bekämpfen gilt. Denn sie behindern nicht nur die konkrete Eindämmung der Krankheitsausbrüche, sondern werden auch politisch instrumentalisiert, wie es sich vor allem in der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen den USA und der Volksrepublik China auf der Bühne der WHO abspielte.

Aktuell stehen die Verhandlungen zum Pandemievertrag unter anderem deswegen auf der Kippe, weil man sich offenbar nicht auf einen zentralen Punkt einigen kann: das globale Teilen von Forschungsergebnissen und Impfstoffen im Ausbruchsfall. Dieses „Access & Benefit Sharing“-Verfahren wird von den kommerziellen Impfstoffproduzenten im globalen Norden mit dem Beharren auf die geistigen Eigentumsrechte abgelehnt. Dass auch die Verhandler der Industriestaaten diese Politik „ihrer“ Großkonzerne unterstützen, zeigt wie wenig die Corona-Pandemie an der altbekannten „America first“- oder „Europe first“-Politik geändert hat. Was bleibt, sind karitative Gesten in Form von Impfstoff-Spenden an die WHO.

Ohne Rücksicht auf Verluste

Gesundheitsminister Lauterbach brachte das in seinem typisch offenherzigen und wenig diplomatisch verklausulierten Stil im Oktober 2023 beim World Health Summit in Berlin auf den Punkt: „For countries like Germany and most European countries, it is clear that such an agreement will not fly if there is a major limitation on intellectual property rights“. Hier wird eine unheilige Allianz deutlich, die noch viel zu wenig in der Kritik steht: der Ethnonationalismus einer radikalen Rechten und ein Nationalismus des Wissens und der Ressourcen, der sich gegen die Gefahren der Welt absichert – ohne Rücksicht auf Verluste an anderen Orten.

Auch dagegen muss eine Bewegung für gesellschaftliche Offenheit und Demokratie, wie wir sie seit Jahresbeginn in Hunderten Städten und Orten in Deutschland sehen, mit auf die Straße gehen. Solidarität darf an der Landesgrenze und an den EU-Außengrenzen nicht halt machen.

Andreas Wulf

Andreas Wulf ist Arzt und seit 1998 bei medico international. Er ist Nothilfe-Referent und arbeitet zu Themen globaler Gesundheit.


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