Mit der Einkesselung der letzten Einheiten der Liberation Tiger of Tamil Eelam (LTTE) scheint der Krieg auf Sri Lanka zum Ende zu kommen.
Zumindest wird die LTTE das von ihr kontrollierte Gebiet im Nordosten Sri Lankas verloren haben und damit von einer quasi-staatlichen Macht auf den Status einer Guerilla zurückgeworfen sein. Zur quasi-staatlichen Macht wurde sie nach dem Waffenstillstand des Jahres 2002, der allerdings nie zu einem echten Waffenstillstand, geschweige denn zu einem Frieden führte. Ein schon 2002 beginnender Kleinkrieg wuchs sich über die Jahre zum offenen Krieg aus. Die Lage eskalierte mit dem Tsunami des Jahres 2004, nach dem die damalige Regierung einen bereits unterschriebenen Vertrag über eine angemessene Verteilung internationaler Hilfe hintertrieb. Darauf antwortete die LTTE mit Anschlägen, wobei sie die Verantwortung für die Ermordung des damaligen Außenministers Lakshman Kadirgama (15. August 2005) immer zurückgewiesen hat. Zur Eskalation trug dann auch bei, dass die EU die Tamil Tiger nach dem Vorbild der USA im Mai 2006 auf die Liste der „terroristischen“ Organisationen setzen ließ. Damit wurde die später immer weiter forcierte Position der sri-lankischen Regierung, mit der Bekämpfung der LTTE ihren Beitrag zum globalen „Krieg gegen den Terror“ zu leisten, ausdrücklich unterstützt.
Hintergründe zum Bürgerkrieg auf Sri Lanka
Menschen unterschiedlicher Herkunft leben auf dem früheren Ceylon seit Jahrtausenden. Die meisten von ihnen sind buddhistischen Glaubens und Singhalesen, hindu-gläubige Tamilen stellen die größte Minderheit dar, daneben gibt es Menschen islamischen und christlichen Glaubens und schließlich noch einige wenige Veddas – so nennt man die den Aborigines verwandten Ureinwohner. Unterschiede gibt es auch unter den Tamilen: den des Glaubens zwischen Hindu-Mehrheit und islamischer bzw. christlicher Minderheit, den der Herkunft zwischen den „einheimischen“ und den sog. „indischen“ Tamilen. Letztere wurden im 19. Jahrhundert von der britischen Kolonialmacht nach Sri Lanka gebracht – zur Deckung des Bedarfs an billiger Arbeitskraft auf den Teeplantagen im Hochland.
Die Kolonialzeit
Natürlich gab es auch vor Jahrhunderten schon Kriege um die „Perle des indischen Ozeans“ – vor allem zwischen singhalesischen und tamilischen Königreichen. Wie viele andere sog. „ethnische Konflikte“ im globalen Süden geht der heutige Konflikt aber auf die europäische Kolonialherrschaft zurück. Die musste gegen den Widerstand der Inselkönigreiche und gegen mehrere große Aufstände durchgesetzt werden. Wirklich unangefochten war die koloniale Herrschaft nie: gleich nach der erst 1815 besiegelten Niederlage des letzten singhalesischen Königreichs formierte sich eine bürgerliche Unabhängigkeitsbewegung. In ihr kam es bald zu singhalesisch-tamilischen Konflikten. Der Grund dafür lag in der britischen Politik des „Teile und herrsche“: die Kolonialmacht stützte sich auf die strategische Bevorzugung der besser gebildeten, weithin schriftkundigen Tamilen, die gegenüber den Singhalesen so auch ökonomisch eine privilegierte Position gewannen und von den Singhalesen deshalb als „Kollaborateure“ wahrgenommen wurden.
Die Unabhängigkeit: kein Neubeginn
Der Konflikt überschattete dann auch die Zeit nach der 1948 errungene Unabhängigkeit: während tamilische Parteien ein Wahlrecht forderten, dass ihnen trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit den gleichen Stimmenanteil wie den der Singhalesen garantieren sollte, suchten singhalesische Parteien die soziale, kulturelle und ökonomische Besserstellung der Tamilen durch eine systematische Benachteiligung „auszugleichen“: Tamil sollte - wie Englisch - aus dem öffentlichen Leben verbannt werden, Sinhala alleinige Landessprache, der Buddhismus Nationalreligion werden.
Eine erste Eskalation ergab sich nach dem Wahlsieg der betont sinhala-nationalistischen Sri Lanka Freedom Party (SFLP) 1956, deren Regierung den Official Language Act erließ, mit dem Sinhala zur einzigen Amtssprache wurde. Als dann sogar die Autokennzeichen nur noch Sinhala-Schriftzeichen tragen durften, kam es zu Unruhen, die sich in einem Pogrom entluden, in dem 400 Tamilen ermordet wurde.
Aufstand im Norden – und im Süden
In den 1960er und 1970er Jahren intensivierten sich die sozialen und mit ihnen die ethnisierten Konflikte. Ein wesentlicher Punkt war die fortlaufend größere Arbeitslosigkeit unter gut gebildeten Jugendlichen jeder Herkunft. Dabei entzündete sich die nächste Eskalation (1971) gar nicht an der „Tamilenfrage“, sondern an einem von der radikal linken Janatha Vimukthi Peramuna (JVP, Volksbefreiungsfront) angeführten Aufstand von Jugendlichen zumeist singhalesischer Herkunft. Armee und Polizei schlugen den Aufstand blutig nieder und ermordeten mehrere tausend Jugendliche meist singhalesischer Herkunft.
Auf tamilischer Seite schlossen sich mehrere Parteien zur Tamil United Liberation Front (TULF) zusammen, die bald einen eigenen tamilischen Staat (Tamil Eelam, Land der Tamilen) im Norden und Osten der Insel forderte. Infolge der symbolisch in der Änderung des Staatsnamens in Sri Lanka (1972) angezeigten und fortlaufend verstärkten Unterdrückung radikalisierte sich auch der tamilische Widerstand. Es bildeten sich erste bewaffnete Gruppen, unter denen es bald zu auch blutig ausgetragenen Konkurrenzen kam. Mit brutalen Anschlägen auch gegen Angehörige anderer tamilischer Gruppen wurden die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE, Befreiungstiger von Tamil Eelam) Zug um Zug zur führenden Kraft des Widerstands.
Indien greift ein
Mit dem Prevention of Terrorism Act (1979) gab sich die Regierung die Möglichkeit, die Grundrechte der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jederzeit und bei nur vagen Verdachtsmomenten außer Kraft setzen zu können. Die stete Verschärfung des Konflikts führte schließlich zum offenen Krieg. Einem Anschlag im Norden, der 13 Soldaten das Leben raubte, folgte ein landesweites antitamilisches Pogrom, dem nach unterschiedlichen Angaben 1000 – 5000 Menschen zum Opfer fielen; weitere 100.000 Tamilinnen und Tamilen wurden aus singhalesisch dominierten Gebieten in den Norden und Osten vertrieben, ihr Eigentum von Singhalesen geraubt.
Im anschließenden Bürgerkrieg bestätigt die LTTE, wiederum durch brutale Niederwerfung konkurrierender Gruppen, ihre führende Rolle. Schließlich greift Indien ein und erreicht einen Friedensvertrag, der dem tamilischen Nordosten weit reichende Autonomie gewähren soll. Als mit Einverständnis der Regierung in Colombo indische Truppen dann aber auch die Kontrolle über die tamilischen Gebiete übernehmen wollen, greift die LTTE die „Schutzmacht“ an. Nach dem Tod von rund 1500 Soldaten zieht sich Indien zurück: die LTTE ist Sieger des Tamil Eelam War I (1979 – 1989).
„Prevention of Terrorism“
Die Regierung in Colombo steht zu dieser Zeit in einen Zwei-Fronten-Krieg, weil sie im Süden ab 1987 mit einem Aufstand der neu gegründeten JVP konfrontiert ist. Da diese zwischenzeitlich zu einer zwar formell linken, de facto aber extrem sinhala-nationalistischen Kraft geworden ist, bleiben die Aufstandsbewegungen des Nordens und des Südens getrennt. Den JVP-Aufstand kann die Regierung 1990 niederschlagen, dabei sterben auf Seiten der Aufständischen rund 35.000 Menschen, hinzukommen weitere 30.000 Menschen, die bis heute spurlos verschwunden bleiben. Das „Verschwindenlassen“ bleibt wesentliche „Begleiterscheinung“ des Bürgerkriegs auf Sri Lanka – ein kommender Friedensprozess wird an der Aufklärung des Schicksals der mehreren Zehntausend „Verschwundenen“ eine seiner Bewährungsproben haben.
Die Zeit zwischen 1990 und 1993 wird auf Sri Lanka als Zeit des Tamil Eelam War II bezeichnet. Anfänglichen Erfolgen der Armee, in denen die LTTE die Kontrolle über ihre „befreiten Gebiete“ verliert und zur Guerillataktik zurückkehrt, folgt schließlich eine Wende, in der die Armee sich neuerlich zurückziehen muss. Einer zwischenzeitlichen Patt-Situation folgt 1995 der Tamil Eelam War III (1995 – 2002): wieder scheint die Armee den tamilischen Widerstand brechen zu können, wieder gelingt der LTTE eine überraschende Wende, wieder zwingt sie die Armee zum fast vollständigen Rückzug aus den mehrheitlich tamilisch besiedelten Gebieten. Diesmal kommt es zu internationalen Friedensverhandlungen, die Menschen auf Sri Lanka hoffen auf einen Friedensprozess und eine demokratische Lösung des ethnisierten Konflikts. Diese Hoffnung aber erweist sich bald als Illusion, der formelle Waffenstillstand schlägt schnell in einen täglichen Kleinkrieg um. Dann kommt der Tsunami, und danach bricht wieder der Krieg aus.
Der Tsunami 2004 – die Katastrophe
Anders als in anderen Ländern arbeitet medico auf Sri Lanka mit Partnern zusammen, die ausschließlich Nothilfe und Menschenrechtsarbeit leisten. Gewollt haben das weder wir noch unsere Partner: doch hat der Krieg auf der noch immer „Perle im Ozean“ genannten Insel uns keine andere Wahl gelassen. Allerdings hat unsere Zusammenarbeit auch mit Nothilfe begonnen: 2004, nach dem Tsunami, der bisher größten bekannten Naturkatastrophe. Doch wollten wir uns damals gerade nicht auf Nothilfe beschränken, sondern sobald als möglich mit dem Wiederaufbau beginnen.
„Beginnen“ hieß: von Anfang an unter aktiver Beteiligung der Betroffenen, und in langfristiger, nachhaltiger Perspektive. Das war damals alles andere als selbstverständlich. Denn die Insel wurde wie die anderen vom Tsunami betroffenen Gegenden von hunderten „Hilfsorganisationen“ angeflogen wurde, die ihre Projekte ohne jede Rücksprache mit den „Hilfsempfängern“ oder gar deren aktive Beteiligung starteten, um sich nach wenigen Monaten abzusetzen, zur nächsten Katastrophe, ohne einen Blick zurück. Unsere Partner suchten andere Wege. Die Notunterkünfte wurden von vorneherein so angelegt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner selbst – unter Begleitung unserer Partnerorganisation – sie zu Siedlungen ausbauen konnten. Deshalb ging es nicht nur um die Hütten, sondern um das Land um die Hütten herum. Hier sollten Wege, Felder und Gärten angelegt werden, auch Schulen, Gesundheitsstationen, Versammlungsplätze. Und: viel war zu tun, um die Menschen selbst einander näher zu bringen. Denn: obdachlose Flüchtlinge waren viele von ihnen auch vor dem Tsunami schon, in der Folge des jahrzehntelangen Bürgerkriegs zwischen dem von der singhalesischen Mehrheit dominiertem Staat und der tamilischen Minderheit im Norden und Osten. In den Lagern kamen deshalb Menschen zusammen, die sich – zum Teil jedenfalls – vorher gar nicht kannten, für einander deshalb Fremde waren.
Ein Jahr, anderthalb Jahre lang schien das Konzept aufzugehen. Der Umbau der Notunterkünfte zu Ansiedlungen, die einmal Dörfer werden sollten, schritt voran, mit Rückschlägen natürlich, doch stetig. Tätig waren unsere Partner an der Ostküste bei Batticaloa und weiter nördlich, bei Mullaithivu. Eine weitere, nur von Kriegsflüchtlingen bewohnte Siedlung, wuchs weiter im Land, bei Vavuniya.
Das People’s Tribunal
Ein anderer medico-Partner, der srilankische Verband des International Movement against all Forms of Discrimination and Rassism (IMADR), schlug einen noch einmal anderen Weg ein. Unter Anleitung der in ganz Südasien bekannten Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Nimalka Fernando leistete auch das IMADR-Tream zunächst Nothilfe. Bald schon aber organisierte IMADR ein Monitoring der Nothilfeaktionen der Regierung und unterstützte in allen Teilen des Landes Tsunami-Überlebende, die in Aussicht gestellte Hilfe auch wirklich zu erhalten. Zahlreiche diskriminierende und ungerechte Vergabepraktiken wurden auf Listen dokumentiert und dann der bei der UN-Menschenrechtskommission eingereicht wurden, um auf Rassendiskriminierung und Ungleichbehandlung. Schließlich organisierte IMADR ein sog. „People's Tribunal“, in dessen Verlauf Tsunami-Überlebende ihre Klagen öffentlich vortragen konnten. Zur Unterstützung auch der Arbeit des Tribunals organisierte medico zusammen mit Brot für die Welt und der Heinrich Böll-Stiftung die Reise einer internationalen Kommission von Expertinnen und Experten durch den Norden und den Süden der Insel, um ein Jahr nach dem Tsunami Bestand aufzunehmen. Die Kommission bereiste auch die Siedlungen unserer Partner im Norden und fand in deren Arbeit eines der leider nicht sehr zahlreichen Beispiele einer Nothilfe im Übergang zur Wiederaufbauhilfe.
Nach den Fluten der Krieg
Ein weiteres Jahr später lagen die Siedlungen buchstäblich in Trümmern. Am schlimmsten war die Situation in Manmunai und Ollikulam an der Ostküste. Hier arbeiteten unsere Partner mit Menschen moslemischen Glaubens. Moslems bilden auf Sri Lanka eine weitere Minderheit zwischen den Fronten des Bürgerkriegs, verfolgt vom singhalesisch-buddhistischen Staat und bisweilen auch der tamilisch-hinduistischen Guerilla. Im Sommer 2007 flohen die Bewohner zuerst Manmunais, dann Ollikulams zu Verwandten in die Stadt Batticaloa, aus Angst vor Übergriffen der Armee wie der Guerilla sind. Als wir auf unserer letzten Reise die Ansiedlung besuchten, lagen ihre Hütten verwaist zwischen Wegen, die schon wieder überwuchert wurden. Zerstört war die Weberei, um die Werkstatt standen noch zwei, drei Fahrräder. Plötzlich tauchten zwei der Bewohner auf. Mit ihrer Anwesenheit wollten sie den gemeinsamen Anspruch auf das Land aufrechterhalten, zu dieser Zeit schon eine vergebliche, wenn auch berechtigte Anstrengung. Mittlerweile, noch einmal zwei Jahre später, sind auch die Siedlungen bei Mullaithivu zerstört: hier toben jetzt – im Februar 2009 – heftige Kämpfe zwischen Armee und Rebellen. Unsere Partner leisten Nothilfe für die Zivilbevölkerung – ein lebensgefährliches Unternehmen.
Eine Siedlung lebt weiter: die nahe der Stadt Vavuniya, die den Namen Talikulam trägt. Hier ist kein unmittelbares Kampfgebiet, obwohl auch in Vavuniya, auch in Thalikulam geschossen wird und einige seiner Bewohner Anschlägen unbekannter Täter zum Opfer fielen.
Neben der Nothilfe unterstützt medico deshalb die Arbeit mutiger Menschenrechts- und Friedensaktivisten. In Zusammenarbeit wieder mit Brot für die Welt u.a. fördern wir ihre äußerst gefährliche, meist im Verborgenen betriebene landesweite Zusammenarbeit. Dazu gehören auch Versuche, dem Geschehen auf Sri Lanka international Gehör zu verschaffen. Eine Gelegenheit dazu waren Konferenzen zu Sri Lanka, die 2007 in Bad Boll und Berlin 2008 stattfanden.
Spendenkonto:
medico international
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Stichwort "Sri Lanka"