Schon im April, kurz nach Beginn der Proteste im Gazastreifen, schickte die Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Physicians for Human Rights Israel (PHRI) eine medizinische Delegation nach Gaza, um in drei Krankenhäusern (Dar Al-Salam, Shifa und European Hospital) das medizinische Personal bei der Versorgung hunderter Verletzter zu unterstützen. Medizinisches Material und Medikamente, die sie mitbrachten, verwendeten sie für die Eingriffe. Den Rest beließen sie in den Einrichtungen, die ständig unter Versorgungsengpässen leiden, um so akuter in der gegebenen Situation.
Dr. Jamal Hijazi, der in seinem sonstigen Leben als Gefäßchirurg im Shaare Tzedek Medical Center in Jerusalem tätig ist, arbeitete vier Tage lang im European Hospital Seite an Seite mit seinen Gazaer Kolleg*innen und beschrieb die Situation vor Ort: „Wir sprechen vom Fehlen absolut notwendiger, einfachster Instrumente, z. B. von Gefäßdopplern, die dafür gebraucht werden, um festzustellen, ob der Blutfluss die Füße erreicht. So versucht das medizinische Personal das durch Ertasten und Messen der Körperwärme zu entscheiden. Ich fühle mich, als sei ich in der Wüste ausgesetzt worden mit dem Auftrag, da Verletzte zu behandeln. Selbst in einem Feldlazarett ist die Situation besser als in den Krankenhäusern im Gazastreifen.“
Infektionsrisiko durch Improvisation
Tatsächlich haben dem Gesundheitsministerium in Gaza in den letzten Jahren immer wieder 30 bis 40 Prozent der essentiellen Medikamente und medizinischen Verbrauchsgüter gefehlt oder waren nur noch für ein bis höchstens drei Monate vorrätig.
„In dem Krankenhaus, in dem ich arbeitete, gab es keine Antibiotika. Patienten wurde gesagt, sie müssten die Antibiotika vorher kaufen und von zu Hause mitbringen. Ich kam in die Situation, Wunden mit normalem Nähgarn verschließen zu müssen. Sehr dünner chirurgischer Faden stand nicht zur Verfügung, also haben wir mit dickerem Garn improvisiert. Es fehlt an Desinfektionsmitteln. Manchmal mussten wir deshalb mit Salzlösung desinfizieren. Du operierst jemanden, und selbst wenn die OP erfolgreich verläuft, besteht für die Patient*innen ein hohes Infektionsrisiko, weil das ganze Umfeld nicht anständig desinfiziert wurde.“
Hilfslieferung nach Gaza
Um diese Notlage zumindest abzumildern hat die israelische Organisation unter anderem mit Unterstützung von medico international im Mai eine Hilfslieferung nach Gaza geschickt. Die medizinischen Gebrauchsgüter und Arzneien gingen vor allem in Notaufnahmen und Operationssäle, um die große Zahl Verletzter weiter zu versorgen. Sie dienen auch der post-operativen Betreuung und Vermeidung von Wundinfektionen.
Während der vergangenen Wochen hat PHRI auch Zeugnisse von Krankenhauspersonal in Gaza gesammelt. Sie bestätigen die akute Notlage und haben auch darauf aufmerksam gemacht, dass die Situation zu Amputationen und medizinischen Komplikationen führt, die bei einer normalen Versorgungslage hätten vermieden werden können. Im Nasser Hospital in Khan Younis beklagte der für die medizinische Versorgungskette Zuständige: „Wir haben eine Situation erreicht, in der wir gezwungen sind, dieselben Vorräte mehrfach zu verwenden. Wir mussten bestimmte Einweggüter zur medizinischen Versorgung nach Gebrauch reinigen und dann nochmal verwenden. Es mangelt an Antiseptika, Desinfektions- sowie Narkose- und Schmerzmitteln. Wir haben abgelaufene Medikamente benutzt.“
Große Probleme im Gesundheitssektor
Die Blockade des Gazastreifens durch Israel im Norden und Osten sowie die innerpalästinensische politische Spaltung haben auch dem Gesundheitssektor schwer zugesetzt. Abgesehen vom Mangel an teils einfachsten Materialien fehlen laut PHRI aber auch Ärzte, die orthopädische Operationen und neurochirurgische Eingriffe vornehmen können. Neben dem Ausstattungsstandard der Hospitäler sind fehlende Fortbildungen ein echtes Problem: Medizinisches Personal sitzt in den meisten Fällen wie alle anderen in der Küstenenklave fest. Die Abriegelung, auch die ägyptische im Süden, macht es für diese Leute so gut wie unmöglich an Fortbildungen in Gesundheitseinrichtungen außerhalb Gazas teilzunehmen.
Auch deshalb bieten die PHRI seit Jahren unter anderem Fortbildungsprogramme für palästinensische Mediziner*innen an, die sie vor Ort durchführen. Um ihre Kolleg*innen in der akuten Notlage vor Ort zu unterstützen, wird Anfang Juni erneut eine größere Gruppe von Ärzt*innen aus Israel nach Gaza reisen und in diversen Krankenhäusern und Gesundheitsstationen Behandlungen und Operationen durchführen. Neben Allgemeinärzt*innen werden zahlreiche Fachärzt*innen ihre Dienste anbieten und erneut dringend benötigtes Material mitbringen.
Solidarische Hilfe wird dringend benötigt, denn es bestehen aktuell enorme Versorgungslücken in den Krankenstationen in Gaza. Bitte helfen Sie den medico-Partnern vor Ort mit einer Spende!