Von Thekla Szlagowski
Auf Grundlage des Anti-Infiltration-Law (frei übersetzt: „Gesetz gegen das Eindringen“) wird den Flüchtlingen das Leben schwer gemacht, in der Hoffnung, dass sie das Land verlassen. Nachdem verschiedene Menschenrechtsorganisationen erneut gegen dieses Gesetz geklagt hatten, wurde es zum mittlerweile vierten Mal vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt.
In Israel leben nach Schätzungen von NGOs noch ca. 45.000 Flüchtlinge. Über 9.000 Menschen haben Israel zwischen Januar 2013 und Dezember 2014 bereits „freiwillig“ verlassen, 1.205 von ihnen sind in sogenannte sichere Drittländer (Uganda und Ruanda) und nicht in ihre Heimatländer „ausgereist“. Da die meisten Flüchtlinge aus dem Sudan oder Eritrea kommen und sich Israel dazu verpflichtet hat, Menschen nicht dorthin zu deportieren, wird versucht, diese in Drittländer abzuschieben oder zur „freiwilligen Ausreise“ zu bewegen.
Grenzzäune zur Abschottung
Entgegen den Behauptungen der israelischen Regierung hat keines dieser Drittländer bestätigt, ein Abkommen über die Aufnahme von Flüchtlingen mit Israel unterzeichnet zu haben. Dass diese Drittländer keineswegs sicher sind, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2014. In einem in Libyen gedrehten Video des Islamischen Staates werden Menschen hingerichtet, darunter ein Mann, der zuvor in Israel Asyl gesucht hatte. Der Großteil der Flüchtlinge kam erst nach 2007 ins Land. Doch die Chancen auf Bewilligung eines Asylantrags in Israel sind verschwindend gering. Die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 ratifizierte Israel 1954. Seitdem sind gerade einmal 200 Asylanträge bewilligt worden. Das entspricht 0,07% aller gestellten Anträge.
Die Abschottung fängt schon an der Landesgrenze an: Auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagierte Israel mit dem Bau eines Zauns an der ägyptischen Grenze. Daraufhin sank die Zahl derer, die es ins Land schafften, um 90%. Mittlerweile wird an der jordanischen Grenze ebenfalls ein 30 km langer Grenzzaun gebaut, der in Zukunft aber bis auf die Golanhöhen reichen könnte. Israels zukünftige vollständige Umzäunung und Einmauerung wird derzeit zumindest diskutiert. Premierminister Netanyahu erklärte: „Wir sehen heutzutage, was passiert, wenn Länder die Kontrolle über ihre Grenzen verlieren.“ Weiter begründete er den Bau: „Wir müssen unsere Grenzen kontrollieren, sowohl gegen illegale Migranten also auch gegen Terrorismus.“
Internierungsanstalt in der Wüste
Auf diejenigen, die es dennoch über die Grenzzäune schaffen, findet das Anti-Infiltration-Law Anwendung. Das Gesetz stellt das irreguläre, dem Verständnis der israelischen Regierung zufolge illegale Betreten des Landes unter Strafe. Seit 2012 findet dieses Gesetz Anwendung auf Flüchtlinge in Israel. Nachdem der Oberste Gerichtshof im Jahre 2013 entschieden hatte, dass die Inhaftierten innerhalb von 90 Tagen freizulassen seien, weil deren Festsetzung der im israelischen Grundgesetz verankerten Freiheit und Würde des Menschen widerspreche, eröffnete Israel eiligst die „Offene Internierungsanstalt Holot“ in der Negev-Wüste. „Offen“ ist Holot nur insofern, als die dort Internierten die Einrichtung zwar verlassen dürfen, sich aber täglich melden müssen und nicht außerhalb übernachten dürfen. Die nächste Stadt ist fußläufig sechs Stunden entfernt und für die Flüchtlinge de facto unerreichbar. Bis Anfang August belief sich das Strafmaß auf bis zu ein Jahr.
Der medico-Partner Ärzte für Menschenrechte - Israel (PHR-IL) besuchte Holot mehrfach, um die Insassen medizinisch zu versorgen und sich über die Bedingungen vor Ort ein Bild zu verschaffen. Der Bericht fiel seinerzeit alarmierend aus.
Keine Rückkehr nach Tel Aviv und Haifa
Nachdem verschiedene Menschenrechtsorganisationen, darunter PHR-IL, erneut eine Petition gegen das Anti-Infiltration-Law eingereicht hatten, zerschlug sich nach der Anhörung im August 2015 die Hoffnung auf eine Besserung der Situation für Flüchtlinge erneut: Zwar entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Asylsuchenden fortan nur noch 12 Monate in Holot festgehalten werden dürfen statt 40 Monate, verbessert hat sich die Situation der Flüchtlinge dadurch aber nicht, denn die Reaktion des israelischen Staates auf die Verkürzung der Internierungszeit erfolgte sofort. Die Regierung setzte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Ende August um und entließ knapp 1.200 der Flüchtlinge, die schon länger als 12 Monate im Internierungslager Holot verbracht hatten.
Drei Tage vor Ablauf der Frist für die Freilassung verbot der Innenminister jedoch bei Strafe die Rückkehr der entlassenen Flüchtlinge nach Haifa und Tel Aviv. Diejenigen, die es dennoch taten, wurden verhaftet. Viele der Flüchtlinge hatten, bevor sie nach Holot kamen, in Tel Aviv gelebt, sich soziale Strukturen aufgebaut und zum Teil Arbeit gefunden. Der Grund, aus dem viele in Tel Aviv lebten, ist simpel: Die Flüchtlinge, die an der Grenze zu Ägypten aufgegriffen wurden, mussten zunächst nach Tel Aviv gebracht und dort von den Behörden registriert werden. Die meisten blieben. Andere zogen weiter nach Haifa, das, wie Tel Aviv, im Vergleich zu anderen israelischen Städten als liberaler gilt.
Mit dem Verbot der Rückkehr wird die Lage der Flüchtlinge weiter prekarisiert. Aber nicht nur Haifa und Tel Aviv sind für die Flüchtlinge nicht zugänglich. Der Bürgermeister der südisraelischen Stadt Arad postierte unmittelbar, nachdem die ersten Insassen aus Holot entlassen worden waren, die Polizei an den Zufahrtsstraßen, damit die Flüchtlinge nicht in seine Stadt gelangen.
Aufenthaltsrecht bis zur Abschiebung
Dabei ist die Situation auch außerhalb von Holot besorgniserregend. Flüchtlinge in Israel haben kein Recht auf Arbeit, sind von der Gesundheitsversorgung weitestgehend ausgeschlossen (lediglich Notfälle werden behandelt, Nachsorge gibt es dagegen nicht) und sind in keiner Weise sozial abgesichert. Sie erhalten sogenannte conditional release visa, die ihnen solange ein Aufenthaltsrecht gewähren, bis sie abgeschoben werden können. Erneuern müssen sie diese Visa teilweise alle zwei Monate.
Diese Prekarisierung hat Strategie. Der damalige Innenminister Gideon Sa‘ar erklärte Anfang 2014 im Fernsehen: „Die Absicht unserer Politik ist es, die Illegalen dazu zu ermutigen zu gehen. Wir beginnen bereits, Resultate zu sehen. Hochrechnungen ergeben, dass etwa 5.000 jährlich das Land verlassen“.
Das Grauen auf der Flucht
Wer sich zur Flucht entschließt, hat in der Regel schwerwiegende Gründe dafür und hat eigentlich immer Furchtbares erlebt. Die meisten Flüchtlinge durchleben auf ihrer Flucht weiteres Grauen. Viele der Flüchtlinge in Israel sind in der Sinaiwüste von verarmten Beduinen abgefangen und gefoltert worden, weil die Entführer Lösegeld von Angehörigen erpressen wollten. In Israel wartet auf sie aber nicht der erhoffte Schutz, sondern weitere Kriminalisierung, Gefängnis und die Unsicherheit, ob sie überhaupt bleiben dürfen. Dieser enorme physische und phychische Stress erhöht die Verwundbarkeit der Flüchtlinge nur noch weiter.
Die offene Klinik in Jaffa
Da von Seiten des israelischen Staates kaum Unterstützung zu erwarten ist, müssen sich Flüchtlinge auf die Unterstützung durch NGOs und die Netzwerke untereinander verlassen. Die Ärzte für Menschenrechte - Israel, ein langjähriger medico-Partner, betreiben eine offene Klinik in Jaffa, in der sie täglich medizinische Erst- und Folgeversorgung anbieten, chronisch Kranke behandeln und psychologische Beratungen durchführen. Dass dieses Angebot ungeheuer wichtig ist, zeigen schon allein die Zahlen: Jährlich werden in der offenen Klinik etwa 6.000 Patienten behandelt, für das Jahr 2015 rechnen die Physicans mit weiteren 1.000 neuen Patienten. Über die medizinische Versorgung hinaus bietet die Klinik rechtliche Unterstützung und betreibt Lobbyarbeit für Flüchtlingsrechte. Neben Kampagnen, die sich primär damit befassen, Rassismus in der Gesellschaft abzubauen, dreht sich eine ihrer Kampagnen um die Folterfälle auf der Sinai-Halbinsel und an anderen Orten entlang der Flüchtlingsrouten.