In die Wüste geschickt

Israel: Repressionen gegen afrikanische Flüchtlinge verschärft

28.04.2014   Lesezeit: 8 min

Auf dem Weg zu einem ethnisierten jüdischen Staat schottet sich Israel weiter ab und versucht mit allen Mitteln afrikanische Flüchtlinge loszuwerden. Seit Dezember 2013 erlebt das Land einen nie dagewesenen Exodus afrikanischer Asylsuchender. Das israelische Innenministerium feiert das als großen Erfolg.

Bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts hatte Israel keine nennenswerten Zahlen afrikanischer Flüchtlinge zu verzeichnen (abgesehen von jüdischen Einwanderern aus den arabischen Staaten Nordafrikas). Fast alle der rund 55.000 Asylsuchenden in Israel sind nach 2007 ins Land gekommen, die Mehrheit von ihnen aus Eritrea und dem Sudan. Die israelische Regierung reagierte auf die Ankunft der Flüchtlinge mit einer Reihe repressiver Maßnahmen: unter anderem mit einem Sperrzaun, der entlang der Grenze zum ägyptischen Sinai errichtet wurde. Bereits vor drei Jahren beschloss sie außerdem, ein Internierungslager in der Negev-Wüste zu errichten. „Holot“ wurde Ende 2013 in Betrieb genommen. Im Januar 2012 ergänzte die Regierung das existierende Einreisegesetz um das sogenannte „Anti-Infiltration Law" (dt. etwa "Gesetz gegen das Eindringen"), das für das irreguläre Betreten des Landes Freiheitsstrafen von mindestens drei Jahren vorsah.

Der Name des Gesetzes verdeutlicht die Einstellung gegenüber Asylsuchenden: Sie werden ganz offiziell als „Eindringlinge" verunglimpft. Der Diskurs wird von rechtskonservativen Politikern wie dem damaligen Innenminister Eli Yishai von der religiösen Shas-Partei oder Miri Regev, Knesset-Abgeordnete für den Likud und ehemalige Armeesprecherin, verschärft. „Einen Krebs in unserem Körper" nannte Regev sudanesische Asylsuchende im Mai 2012 im Umfeld einer Demonstration, die in gewalttätigen Übergriffen gegen afrikanische Einwanderer endete. Ginge es nach ihr, so „würden sie alle dahin zurück geschickt, wo sie hergekommen sind.“ Israelische Menschenrechtsorganisationen, darunter auch der langjährige medico-Partner Physicians for Human Rights - Israel (PHR-IL), protestierten umgehend gegen das „Anti-Infiltration Law" und reichten eine Petition ein.

Internierungsanstalt in der Wüste

Mitte September 2013 geschah dann etwas Interessantes: Der Oberste Gerichtshof kassierte das Gesetz, weil es klar im Widerspruch zum israelischen Grundgesetz und der darin festgeschriebenen Freiheit und Würde des Menschen steht. Das Gericht gab der Regierung 90 Tage Zeit, um in Haft befindliche Flüchtlinge entweder frei zu lassen oder über den Status der Asylsuchenden zu befinden. Die Regierung ihrerseits beeilte sich nun, die vor drei Jahren beschlossene „offene Internierungsanstalt“ Holot in der Negev-Wüste noch Mitte Dezember 2013, gerade rechtzeitig vor Ablauf der 90-tägigen Frist, in Betrieb zu nehmen. Da es sich bei Holot formal um kein Gefängnis handelt, obwohl sie vom israelischen Gefängnisdienst betrieben wird, war die Regierung damit der richterlichen Anordnung der Freilassung der Inhaftierten nachgekommen.

Seit Mitte Dezember 2013 werden also Asylsuchende aus regulären Gefängnissen nach Holot verlegt. Die Insassen des Internierungslagers leiden unter den alarmierenden Zuständen, wie der medico-Partner Ärzte für Menschenrechte - Israel (Physicians for Human Rights - Israel, PHR-IL) im Januar feststellte, als eine medizinische Delegation das Lager besuchte, um Menschen vor Ort zu untersuchen und aus erster Hand mehr über die Lebensbedingungen zu erfahren. Gleichzeitig erhielten Flüchtlinge in verschiedenen israelischen Städten Bescheide, sich in Holot einzufinden. Dabei ignorierten israelische Behörden teilweise die eigens abgegebene Zusicherung, Familien nicht auseinanderzureißen. Israelische Gerichte haben dieses Vorgehen erst einmal gestoppt. Im Dezember 2013 und Januar 2014 kam es wegen zunehmender Verhaftungen von Asylsuchenden zu gut selbstorganisierten Massenprotesten afrikanischer Flüchtlinge, die ihnen auch in der israelischen Gesellschaft Sympathien einbrachten.

Die Hoffnung, dass sich mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofes im September 2013 ein würdigerer Umgang mit den Betroffenen einstellen werde, hat sich also in keiner Weise erfüllt. Die Rechte von Asylsuchenden werden weiterhin ignoriert. Dabei sind seit der Fertigstellung des Grenzzauns zur Sinaihalbinsel im Januar 2013 die Zahlen von Neuankömmlingen dramatisch zurückgegangen. In drei Monaten sollen laut dem israelischen Innenministerium gerade einmal vier Personen die irreguläre Einreise geschafft haben.

Gegen die "Eindringlinge"

Doch der Regierung ist das nicht genug. Im Gegenteil: eine Neuauflage des Anti-Infiltrationsgesetzes hat die Knesset bereits im Dezember 2013 erfolgreich passiert. In Anspielung auf die alte Forderung palästinensischer Israelis, ethnisch diskriminierende Gesetze in Israel abzuschaffen und das Land zu einem echt demokratischen „Staat all seiner Bürger" zu machen, warf Innenminister Gideon Sa’ar der Opposition bei der Abstimmung vor: „Ihr wollt einen ‘Staat all seiner Eindringlinge‘. Ihr wollt, dass wir aufgeben, aber das werden wir nicht. Dieses Gesetz dient den Interessen des Landes und seiner Bürger - jüdischer wie arabischer." Zugleich machte der Innenminister in der sechsstündigen Debatte deutlich, dass es um nichts weniger als die Bewahrung des jüdischen Charakters Israels gehe. Es ist ein erklärtes Ziel seines Ministeriums, „das erneute Eindringen nach Israel zu verhindern und die Zahl der Eindringlinge zu verringern, die in Israel leben."

Auf das irreguläre - nach Lesart der Regierung, das illegale - Betreten des Landes steht laut dem neuen Gesetz bis zu ein Jahr Gefängnis ohne Gerichtsverfahren. Sogenannte „nicht abschiebbare" Flüchtlinge können in einem „offenen" Lager wie Holot unbegrenzt interniert werden. Selbst das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), das sich bisher mit öffentlichen Stellungnahmen in Israel zurückhielt, äußerte sich besorgt. „Ich bin besonders über den Zweck der sogenannten 'offenen' Residenzeinrichtung in Holot beunruhigt, die in ihrer derzeitigen Form, der Bezeichnung 'offen' zum Trotz, als Internierungszentrum zu operieren scheint, aus dem es keine Entlassung gibt. Dies bedeutet faktisch unbegrenzten Arrest", sagte Walpurga Englbrecht, die UNHCR-Repräsentantin in Israel. Gleich nachdem die Regierung bekannt gegeben hatte, einen neuen Gesetzentwurf vorlegen zu wollen und erste Einzelheiten an die Öffentlichkeit gedrungen waren, lancierten PHR-IL und andere Menschenrechtsorganisationen eine weitere Petition. Die Petition ist seit Mitte Dezember am Obersten Gerichtshof anhängig. Eine Anhörung fand am 1. April 2014 statt, bei der die Verhältnismäßigkeit des Gesetzes bereits in Frage gestellt wurde. Auch wurde kritisch hinterfragt, weshalb Asylsuchende aus Eritrea und dem Sudan im internationalen Vergleich so geringe Anerkennungsraten als Flüchtlinge in Israel hätten. Die israelische Regierung hatte die Zulassung zum Verfahren zur Festlegung des Flüchtlingsstatus (Refugee Status Determination; RSD) für Geflohene aus genau diesen Ländern jahrelang unter Hinweis auf den Umstand blockiert, dass die Betroffenen auf Grund ihrer Herkunft als Gruppe geschützt seien, weil Israel sich verpflichtet hat, nicht in den Sudan oder nach Eritrea abzuschieben. Dabei schreibt das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, zu dessen Vertragsparteien auch der Staat Israel zählt, die individuelle Prüfung vor. Im letzten Quartal des Jahres 2013 hat der Staat dann doch damit begonnen, Einzelfälle zu prüfen. Ein Urteil des Obersten Gerichtshofes sollte bis Anfang Mai vorliegen.

Zuckerbrot, Repression und Schikane

Das Leben im Wüstenlager Holot mit den dortigen harschen Bedingungen soll die Asylsuchenden, die nicht abgeschoben werden können, so weit zermürben, dass die Menschen „freiwillig" ihrer Rückführung oder Abschiebung in ein Drittland zustimmen. Mit einem Anteil von deutlich über 80% kommt die Mehrheit der afrikanischen Asylsuchenden in Israel aus Eritrea und dem Sudan und ist somit „nicht abschiebbar“, weil Israel sich selbst verpflichtet hat, in diese Länder nicht abzuschieben. Unter Rückgriff auf fadenscheinige bürokratische Gründe wird es diesen Flüchtlingen zusätzlich besonders schwer gemacht, einen Asylantrag zu stellen.

Um den Betroffenen die Option der „freiwilligen" Ausreise schmackhaft zu machen, erhöhte die Regierung für vier Monate (Dezember 2013 - März 2014) die Zahlungen für Personen, die der Rückführung oder Abschiebung zustimmen, von zuvor 1.500 US-$ auf 3.500 US-$. Premierminister Benjamin Netanjahu begründete die Maßnahme als „angemessen und notwendig, um den jüdischen und demokratischen Charakter des Staates zu bewahren und die Sicherheit der Bürger Israels wiederherzustellen." Nachdem sich die Zahl der Flüchtlinge, die Israel monatlich verlassen, von November 2013 bis Januar 2014 bereits verzehnfacht hatte, erreichte die Zahl im Februar und März ein neues Rekordhoch von 1.705 und 1.507 Personen. Das sind in einem Monat rund 3% der angenommenen Gesamtzahl für Asylsuchende und Flüchtlinge in Israel. Der Innenminister will nun die Zahlung der erhöhten Ausreiseprämie um drei Monate bis Ende Juni verlängern. Gleichzeitig will er die Kapazitäten des Internierungslagers ausbauen, „so dass wir die Zahl der Eindringlinge, die in innerstädtischen Gebieten leben, weiter reduzieren können". Schritt für Schritt kommt Israel so dem ethnisierten und damit letztlich chauvinistischen Gesellschaftsentwurf eines jüdischen Staates näher.

An der Seite der Flüchtlinge: Physicians for Human Rights - Israel

In Israel werden die Rechte afrikanischer Flüchtlinge in den letzten Jahren systematisch attackiert und eingeschränkt. Darunter leiden besonders Personen, die in ihren Herkunftsländern oder auf der Sinaihalbinsel Opfer von Gewalt und Folter geworden sind. Für die kriminalisierten Flüchtlinge bleibt nach ihrer Freilassung aus israelischen Gefängnissen eine rechtliche Unsicherheit bestehen, die enormen psychischen und physischen Stress verursacht und die Verwundbarkeit dieser Menschen weiter erhöht. Gleichzeitig lauert die Perspektivlosigkeit des Internierungslagers Holot. Was bleibt da außer der „freiwilligen" Rückkehr?

Seit Jahren bemüht sich der israelische medico-Partner Ärzte für Menschenrechte - Israel darum, die israelische und internationale Aufmerksamkeit auf die Grausamkeiten zu lenken, die auf dem Sinai in einem weitgehend rechtsfreien Raum gegen viele Asylsuchende verübt werden. Außerdem setzt sich die Organisation für bessere Lebensbedingungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in Israel ein, indem sie für eine israelische Asylpolitik kämpft, die sich an Menschen- und Flüchtlingsrechten orientiert, und indem sie in der Offenen Klinik Jaffa konkrete medizinische, psychologische und rechtliche Hilfe anbietet.


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