Mindestens 1.600 Flüchtlinge starben seit Ende Juni beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Bei einem Bootsunglück Ende Juli verloren siebzig Malier ihr Leben. Die malische medico-Partnerorganisation AME hilft den Hinterbliebenen und macht sowohl die eigene Regierung als auch die Abschottungspolitik der Europäischen Union für das Unglück verantwortlich. Die am 27.8. bekannt gewordene Ablösung der italienischen Mission „Mare Nostrum“ durch die europäische Operation „Frontex Plus“ wird die Aussicht auf Rettung von Migranten in Seenot vermutlich noch einmal deutlich verschlechtern.
Transitland Libyen
Libyen ist nach Angaben des UNHCR aufgrund der unübersichtlichen politischen Lage das Mittelmeerland, von dessen Küste aus derzeit die meisten Menschen versuchen, nach Europa zu gelangen. Die Mehrheit der von Libyen aus in See stechenden Flüchtlinge, die oft ihr letztes Geld dafür ausgeben oder sich hoch verschulden, kommt laut UN aus Syrien, Eritrea und Somalia. Aber auch immer mehr seit längerem in Libyen lebende Migranten entschlössen sich wegen des dortigen bewaffneten Konflikts zur Flucht. Von den über siebzig Maliern, die am 28. Juli dieses Jahres versuchten, über Libyen nach Europa zu gelangen, überlebte nur einer.
Mobilität ermöglichen und schützen
Die malische medico-Partnerorganisation AME (Malischer Zusammenschluss Abgeschobener) macht die malische Regierung für das Schiffsunglück vor Libyen ebenso verantwortlich wie die Abschottungspolitik der Europäischen Union. Die soziale, politische und ökonomische Situation in Mali zwingt Menschen zur Migration. Da ihnen legale Einreisemöglichkeiten nach Europa verwehrt sind, begeben sie sich auf die gefährliche illegale Seereise über das Mittelmeer. Oft mit tödlichem Ausgang.
In einer gemeinsamen Erklärung mit der in der südmalischen Region Kayes ansässigen Organisation für Migration und Entwicklung (EMDK) und der malischen Menschenrechtsorganisation (AMDH) schreibt die AME:
„Wir verurteilen und bedauern dieses tragische Unglück zutiefst. Es ist das Ergebnis von Versuchen, die Mobilität der Menschen zu behindern. Von den Regierungen der Transitländer wie der Aufnahmeländer fordern wir die Achtung der Menschenrechte und Hilfe für Menschen in Not.“
Seenotrettung oder Grenzschutz?
Unter dem Namen „Mare Nostrum“ rettet die italienische Marine seit Oktober 2013 in Seenot geratene Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer. Seit längerem fordert Italien dabei Unterstützung von der Europäischen Union. Nun soll „Frontex Plus“ unter dem Dach der europäischen Grenzschutzagentur „Frontex“ kommen und „Mare Nostrum“ ablösen. Weder Umfang noch Finanzierung der Mission sind bisher allerdings klar.
EU-Kommissarin Cecilia Malmström dankte Italien für die Rettung von zehntausenden Menschenleben und kündigte bereits an, „Frontex Plus“ werden den Umfang von „Mare Nostrum“ nicht erreichen. Möglicherweise wird „Frontex Plus“ – anders als „Mare Nostrum“ – nur in italienischen Gewässern zum Einsatz kommen. Ein Sprecher Malmströms sagte der Zeitung La Repubblica, die Schiffe sollten die italienische und damit europäische Seegrenze überwachen und nicht mehr in internationalen Gewässern operieren, so dass möglicher Weise wieder mehr Flüchtlinge auf hoher See umkommen.
Tödlicher Rückschritt
In diesem Jahr starben laut UNHCR bereits mindestens 1.889 Flüchtlinge bei der Überfahrt. Viele der Unglücke ereignen sich noch vor den Küsten Afrikas. Das bisher schwerste Bootsunglück mit Flüchtlingen geschah nur zwei Tage nach Bekanntwerden von „Frontex Plus“ am 29.8.2014 vor Garibouli, östlich von Tripolis. Mindestens 270 Menschen ertranken. Am darauffolgenden Tag rettete die italienische Marine 73 in Seenot geratene Flüchtlinge nur zwanzig Meilen von libyschen Gewässern entfernt. Wäre „Frontex Plus“ bereits an Stelle von „Mare Nostrum“ in Kraft gewesen, hätten sie wahrscheinlich nicht überlebt.
„Mare Nostrum“ hat nichts dafür getan, die Ursachen der Bootsunglücke zu beseitigen. Nicht die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern der Migranten verbessert und keine legalen Einreisemöglichkeiten nach Europa geschaffen. Aber es war immerhin eine humanitäre Mission. Die Gefahr, dass mit „Frontex Plus“ nun eine reine Grenzschutzmission ohne humanitären Anspruch kommt, erscheint groß. Was die Rettung von Menschenleben anbelangt, könnte das ein tödlicher Rückschritt sein.
Die meisten der malischen Flüchtlinge, die Ende Juli vor der libyschen Küste starben, kamen aus der Region Kayes, die stark von Armut und Auswanderung geprägt ist. Gemeinsam mit der in Kayes ansässigen Organisation für Migration und Entwicklung (EMDK) trifft die medico-Partnerorganisation AME derzeit Vorbereitungen, um die Familien der Toten in drei Dörfern in Kayes zu besuchen und zu unterstützen. Gleichzeitig übt die AME Druck auf die malische Regierung aus, dafür zu sorgen, dass die Menschen in Mali sich nicht gezwungen sehen auszuwandern, und fordert Schutz und Unterstützung für alle Malier, die Migrationsabsichten haben, bereits in der Migration sind oder im Ausland leben.