Der Beginn der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas ist für uns vom Public Committee Against Torture in Israel (PCATI) ein Moment großer Gefühle. Als eine Organisation, die sich in einzigartiger Weise an der Schnittstelle der Menschenrechtsverteidigung befindet, wurde unsere Arbeit durch den verheerenden Tribut dieses Krieges zutiefst geprägt. Während des gesamten Konflikts haben wir Folter und Misshandlung von palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen sorgfältig dokumentiert. Jetzt, da wir die schrittweise Freilassung sowohl der israelischen Geiseln als auch der palästinensischen Gefangenen erwarten, befinden wir uns in einem Spektrum von Emotionen und bereiten uns auf die kommenden Herausforderungen vor.
Das Team von PCATI besteht sowohl aus Juden und Jüdinnen als auch aus Palästinenser:innen. Diese unterschiedliche Zusammensetzung ist ein Spiegelbild der beiden Gesellschaften, die in diesem unerbittlichen Kreislauf der Gewalt gefangen sind. Was uns am meisten eint, ist unser Engagement für die Menschlichkeit und den Kampf für Menschenrechte für alle – unabhängig von ihrer Nationalität oder Religion.
Deshalb begrüßen wir den Waffenstillstand mit Freude, da er endlich dem weiteren Töten von Zivilist:innen Einhalt gebietet und die humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza ermöglicht. Auch die Freilassung der israelischen Geiseln erfüllt uns mit großer Erleichterung und Hoffnung. Viele dieser Menschen haben unvorstellbares Leid ertragen müssen, und ihre Freilassung ist ein wichtiger Schritt zur Heilung dieser Menschen und der israelischen Gesellschaft als Ganzes. Gleichzeitig ist auch die Freilassung der palästinensischen Gefangenen ein wichtiger Schritt nach vorn. Einige von ihnen sind unsere Mandant:innen, für deren Rechte wir unermüdlich gekämpft haben. Diese Menschen haben erschütternde Bedingungen ertragen, darunter entmenschlichende Behandlung, willkürliche Gewalt und lange Isolation von ihren Angehörigen und der Außenwelt. Ihre Geschichten, die lange zum Schweigen gebracht wurden, können nun endlich Gehör finden.
Vom Waffenstillstand zu Gerechtigkeit
Dieser Moment ist jedoch nicht unproblematisch. Als Menschenrechtsverteidiger:innen sind wir uns der Notwendigkeit von Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht in der Zeit nach dem Krieg bewusst. Der Waffenstillstand mag vielleicht ein Ende der aktiven Feindseligkeiten markieren, aber er signalisiert auch den Beginn eines langen Weges zur Aufarbeitung der Ungerechtigkeiten, die sich in seinem Schatten entfaltet haben. Überlebende von Folter und Misshandlung werden nun die Möglichkeit haben, ihre Erfahrungen mitzuteilen, und wir müssen bereit sein, ihren Stimmen Gehör zu verschaffen, von den Verantwortlichen Rechenschaft zu fordern und uns dafür einzusetzen, dass sich derartige Misshandlungen niemals wiederholen.
Der Waffenstillstand bringt auch ein verstärktes Gefühl der Verwundbarkeit für Organisationen wie die unsere mit sich, da der Fokus auf den andauernden Krieg nachlässt. Das politische Klima in Israel ist zunehmend feindselig gegenüber Menschenrechts-NGOs, insbesondere gegenüber solchen, die sich für die Rechte der Palästinenser:innen und die Rechenschaftspflicht der Täter:innen einsetzen. Wir rechnen mit verstärkten Bemühungen der israelischen Regierung, abweichende Stimmen durch restriktive Gesetze und öffentliche Delegitimierung zum Schweigen zu bringen. Bereits jetzt gibt es Bestrebungen, die Aktivitäten von Organisationen, die die staatliche Politik kritisieren, einzuschränken und unsere Arbeit als unpatriotisch oder subversiv darzustellen. Dazu zählen auch Gesetzesversuche, die von Menschenrechts-NGOs verlangen, 65 Prozent und mehr an ausländischer Unterstützung zu versteuern, oder die Kriminalisierung jeglicher Auseinandersetzung mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Diese Bestrebungen bedrohen nicht nur unsere Handlungsfähigkeit, sondern auch die allgemeinen Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit – und sie stellen eine schwere Belastung für unser persönliches Wohlergehen dar.
Eine Grundlage für Frieden
Inmitten dieser Herausforderungen bleiben wir standhaft in unserem Engagement für Gerechtigkeit. Dieses Engagement beruht auf der Überzeugung, dass die Rechenschaftspflicht kein Hindernis für den Frieden ist, sondern dessen Grundlage. Die Geschichten von Folterüberlebenden müssen dokumentiert, weitergegeben und aufgearbeitet werden, nicht nur, um ihre Widerstandskraft zu würdigen, sondern auch, um künftige Gräueltaten zu verhindern und die Grundlage für eine friedliche Gesellschaft zu schaffen. Unsere Arbeit ist wichtiger denn je, da wir uns bemühen, die Rechte und die Würde aller Menschen zu wahren, unabhängig von ihrer Identität oder Zugehörigkeit.
Wenn wir in die Zukunft blicken, sind die Emotionen in unserem Team eine komplexe Mischung aus Hoffnung, Entschlossenheit und Besorgnis. Der Waffenstillstand ist eine Gelegenheit zum Innehalten und Nachdenken, aber auch ein Aufruf zum Handeln. Gemeinsam, als Jüdinnen, Juden und Palästinenser:innen, die in ihrem Streben nach Gerechtigkeit vereint sind, werden wir weiterhin gegen Straflosigkeit vorgehen, für die Rechte der Unterdrückten eintreten und auf eine Zukunft hinarbeiten, in der Würde und Menschlichkeit über Gewalt und Spaltung siegen.
In Israel setzen sich unsere Partner:innen gegen Folter und für die Rechte von Inhaftierten ein. Das taten sie auch schon vor dem 7. Oktober 2023. In den letzten Monaten häufen sich jedoch Berichte von illegalen Massenverhaftungen, dem Aushungern Gefangener, von Misshandlungen und Verschwindenlassen. medicos Partnerorganisationen wie der Human Right Defenders Fund, die Physicians for Human Rights oder PCATI gehen rechtlich gegen Verbrechen in den regulären israelischen Gefängnissen und den Militäreinrichtungen vor. Sie verfassen Petitionen, sprechen mit Abgeordneten und organisieren Rechtsbeistand. Auch die Organisation HaMoked geht gegen Rechtsbrüche vor, wie beispielsweise die Vorenthaltung des Rechts auf Familienzusammenführung.