Trotz der schwierigen humanitären Situation, kann medicos langjährige Partnerorganisation „Palestinian Medical Relief Society“ (PMRS) kleine und größere Erfolgsgeschichten vermelden.
Durch die enorme Resonanz der medico-Spender auf die Krisensituation während und nach den israelischen Angriffen auf Gaza, sowie mit Geldern der Schweizer Organisationen medico Schweiz, Caritas, Kinderhilfe Bethlehem und Kampagne Olivenöl, sowie des Deutschen Auswärtigen Amts konnte PMRS das umfangreichste Nothilfeprogramm ihrer 30-jährigen Geschichte realisieren.
Tausende von Erste-Hilfe-Paketen konnten verteilt und hunderte von Menschen in Erster Hilfe ausgebildet werden. Seitdem auch zwei Übungspuppen angeschafft wurden, können die Kurse praktischer gestaltet werden. Unter den Kursteilnehmern waren besonders gefährdete Menschen - etwa Fischer. Da Israel auch eine Seeblockade verhängt, laufen diese stets Gefahr die eng gezogene, unsichtbare israelische Seegrenze zu überschreiten und von der israelischen Marine angegriffen und gerammt zu werden. Oder Bauern, deren Felder an Israels Zaun angrenzen.
Die Angriffe der israelischen Armee haben dazu geführt, dass sich die Situation der unterpriviligierten Bevölkerungsschichten weiter verschlechtert hat. Diese sind kaum noch in der Lage sich um die eigene Gesundheit und die ihrer Familien zu sorgen.
Durch die Unterstützung kann PMRS mithilfe zweier mobiler Kliniken diese Menschen erreichen und ihnen den Zugang zu Gesundheitsdiensten, ärztlicher Beratung, Medikamenten oder Labortests ermöglichen. Etwa 3.000 Fälle behandeln sie monatlich; viele Patienten leiden unter Atemwegserkrankungen, Madenwürmern, Hautinfektionen oder chronischen Krankheiten. Weiter profitieren hunderte von Patienten im schwer getroffenen Jabalia im nördlichen Gazastreifen von erweiterten Basisgesundheitsdiensten und viele Gazaer werden durch die drei Physiotherapeuten und 16 Sozialarbeiter betreut.
Als direkte Folge der Kämpfe sind tausende von Gebäuden zerstört oder beschädigt worden. Zehntausende haben ihre Wohnungen, beziehungsweise ihr Hab und Gut verloren. Noch immer leben viele Menschen in beschädigten Behausungen, teilweise ohne grundlegende Haushaltsgegenstände, ohne Wasser oder Strom.
Die SozialarbeiterInnen der PMRS haben etliche solcher Familien besucht, sprachen ihnen zu, berieten sie und vermittelten sie weiter, falls sie gravierende psychische oder physische Probleme feststellten. Gleichzeitig konnten die SozialarbeiterInnen den materiellen Bedarf dieser Familien ermitteln. Daraufhin wurden in den letzten Monaten individuelle Hilfspakete, bestehend aus Haushaltsgegenständen oder Kleidung, an die Familien verteilt. Die SozialarbeiterInnen sind das Bindeglied zwischen den lokalen Gemeinden und den anderen Diensten der PMRS, etwa dem Physiotherapiezentrum. Durch unsere Unterstützung kann dieses nun das ganze Jahr betrieben werden. Hier arbeiten drei Physiotherapeuten mit Verletzten und Menschen mit Behinderungen an deren Genesung.
Schließlich konnten in dem besonders von den israelischen Angriffen betroffenen Jabalia im nördlichen Gazastreifen die Dienste der dortigen PMRS-Klinik um eine Nachmittagsschicht erweitert werden, sowie um sechs spezialisierte Ärzte, die der Klinik jeweils einen wöchentlichen Besuch abstatten.
Menschenrechte in Gaza
Dr. Aed Yaghi, Leiter der PMRS in Gaza, ist zufrieden mit der Arbeit seiner Truppe, auch wenn die Mitarbeiterzahl aufgrund des groß angelegten Notprogramms um etwa 40 auf über 100 gestiegen ist, was zu Anpassungsschwierigkeiten führt. Dennoch blickt er pessimistisch in die Zukunft. Die Blockade von Gaza macht jede Entwicklung unmöglich. Sie können nur die Lücken füllen.
Die politische Lage in den besetzten Gebieten gibt ihm kaum Grund zur Hoffnung. Hamas und Fatah verfolgen ihre eigenen Interessen. Hamas im Gazastreifen und Fatah in der Westbank möchten vor allem eins: Ihre Macht im jeweiligen Gebiet zementieren. Dadurch wird der Bruch zwischen Gaza und der Westbank immer größer. Keine Partei plant mehr für die gesamten besetzten Gebiete, sondern nur für das „eigene“ Gebiet. Organisationen der anderen Partei – darunter auch Hilfsorganisationen – werden geschlossen. Damit fallen beide Parteien in die Falle der israelischen Politik des Trennens und Herrschens. Die Interessen der Bevölkerung bleiben zurück.
Viele gesellschaftliche Entwicklungen im Gazastreifen sind sehr besorgniserregend: Der Kopftuchzwang ab der siebten Klasse oder neulich ein Schreiben an alle Gaststätten, das allen Frauen das Rauchen von Wasserpfeifen an öffentlichen Stellen verbietet. Das sind Vorboten für das, was viele befürchtet haben, die Einrichtung eines Gottesstaates, die, so spotten manche, eher eine Gottesenklave sei.
Noch besorgniserregender findet die Menschenrechtsorganisation Al Mezan die Tatsache, dass Hamas – wie auch die von Fatah kontrollierte Autonomiebehörde in Ramallah – Menschen ohne Haftbefehl festnimmt. Da Israel auch die Gefängnisse bombardiert hatte, gibt es seit Ende Juni ein neues zentrales Internierungslager. Hamas hindert jedoch Al Mezan und andere Menschenrechtsorganisationen, sowie Anwälte daran, die Gefangenen zu besuchen. Obwohl das nach palästinensischem Gesetz verboten ist. Damit kann Al Mezan nur Zeugnisse über die dortige Lage sammeln. Nach diesen sind die hygienischen Bedingungen dort schlecht, die Gefangenen erhalten weder Arzt- noch Anwaltsbesuche. Viele der Gefangenen sind politische Gegner. Al Mezan sieht dies als Folge des Machtkampfs zwischen beiden Parteien. Jede vergilt eine Festnahme oder die Schließung einer ihrer Organisationen mit gleicher Münze. Eine Eskalation scheint vorprogrammiert. Die verbrieften Rechte werden von beiden Seiten mit Füßen getreten.
Die palästinensische Bevölkerung und medicos Partnerorganisationen befinden sich also in einer Zange, zwischen der israelischen Besatzungs- und Blockadepolitik einerseits und der Repressionsversuche der beiden palästinensischen „Regierungen“. Al Mezans Berichte über israelische Menschenrechtsverletzungen während der Angriffe auf Gaza wurden auch von anderer Seite bestätigt. medicos israelischer Partner „Breaking the Silence„ hat eine weltweit viel beachtete Sammlung von Augenzeugenberichten israelischer Soldaten über Menschenrechtsverletzungen herausgegeben.
Frauenzentrum im Flüchtlingslager
Im Flüchtlingslager Al-Bureij betreibt der neue medico-Partner „Culture and Free Thought Association“ (CFTA) ein Frauenzentrum. Für die Frauen aus dem Flüchtlingslager ist dieses die einzige Ausflucht aus einem Leben, das immer mehr von Hoffnungslosigkeit geprägt ist. „Was ist uns noch geblieben?“, fragt Gründerin Majeda Al-Saqqa. „Die Blockade beeinflusst jeden Lebensbereich. Wir ersticken hier. Wir haben immer weniger Zugang zu allem: zu Gesundheit, zu Arbeit, zur Bewegungsfreiheit. Wir können Gaza seit Jahren nicht verlassen. Die Frauen hier können höchstens zum Strand. Doch dieser ist zunehmend verschmutzt.
Die israelische Blockade führt nämlich dazu, dass weder Zement noch Ersatzteile eingeführt werden können. Die Klärwerke sind folglich kaum funktionsfähig, und das Abwasser wird ins Meer geleitet.“ Für die Kunstkurse muss teure Schmuggelware gekauft werden, da Israel die Einfuhr von Malmaterialien und Papier mit der Begründung verhindert, diese seien Luxusartikel. Die Qualität der durch die Tunnels aus Ägypten geschmuggelten Ware ist miserabel. Diese Buntstifte sind nach kurzer Zeit ausgetrocknet. Die beliebte Sauna, aber auch Beleuchtung und Computer im Büro können nur wenige Stunden genutzt werden, da es immer wieder zu Stromausfällen kommt.
Mit dem Ausfall des Internets fühlt sich Majeda vollends von der Außenwelt abgeschnitten. Auch die Gesundheitsdienste des Zentrums sind von der Blockade betroffen. Der Mangel an Ersatzteilen zwang CFTA dazu, ein teures, neues Ultraschallgerät zu kaufen, statt das Alte zu reparieren. In der angeschlossenen Apotheke müssen sie immer wieder schauen, wie sie Medikamente stabil kühl lagern, wenn der Strom ausfällt. Die Mitarbeiterinnen des Zentrums, Gesundheitspersonal, SozialarbeiterInnen sollten in Jordanien weiter ausgebildet werden, doch eine Ausreisegenehmigung haben die israelischen Behörden das dritte Jahr in Folge abgelehnt. Begründung Fehlanzeige.
In Israel
Da die Gazaer Gesundheitsdienste seit Jahren keine Entwicklung erleben, sondern langsam implodieren, kann immer mehr Patienten nur eine Behandlung außerhalb des Gazastreifens retten. Da die israelischen Behörden die Überweisung von Schwerst- und Todkranken immer wieder ablehnen, wendet sich medicos Partnerorganisation „Ärzte für Menschenrechte Israel“ (PHR-IL) immer wieder an ihr Freiwilligennetz, darunter viele bekannte Ärzte und an die Presse, um auf besonders schwere Fälle hinzuweisen.
Am 6. Juli riefen PHR-IL dazu auf, Druck auf die israelischen Behörden auszuüben, damit der 28-jährigen Muhammad Abu Matir, der an einen bösartigen Tumor am Lymphsystem leidet, von Gaza in das Ostjerusalemer Augusta-Viktoria-Krankenhaus überwiesen werden kann. Bis dahin hatte er über zwei Monate vergebens auf eine Überweisung gewartet. Mit Erfolg. Die Überweisung des Patienten wurde drei Tage später genehmigt. Am 12. Juli konnte der Krebskranke Patient den Gazastreifen verlassen, nachdem er fünfeinhalb Stunden durch den israelischen Geheimdienst ausgefragt wurde und weitere drei Stunden auf die Ausreise warten musste. Andere hatten weniger Glück.
Al Mezan, die Gazaer Menschenrechtsorganisation zählt 15 todkranke Gazaer, darunter zwei Kinder, die Gaza nicht verlassen durften und daraufhin verstarben.
Für ein Ende der Blockade des Gazastreifens
medico und seine zehn israelischen und palästinensischen Partner sind davon überzeugt: Eine Verbesserung der humanitären Situation kann nur erfolgen, wenn die israelische Blockade von Gaza für Menschen und Waren aufgehoben wird. Dies darf nicht eine zeitlich begrenzte Geste eines angeblich guten Willens sein, sondern muss auf Dauer garantiert werden. Alles andere stellt eine menschenrechtswidrige Kollektivbestrafung von anderthalb Millionen Menschen dar.
Projektstichwort
medico hat 2009 die Arbeit seiner Partner in Palästina & Israel mit etwa 500.000€ unterstützt. Wir möchten uns auch weiter dafür einsetzen, Nischen von Solidarität in Palästina und Israel zu erhalten. Dafür benötigen wir weiterhin ihre Unterstützung. Spenden Sie unter dem Stichwort: Israel-Palästina