31.12.2008 - Die israelischen Bombardements auf Gaza wurden heute Nacht fortgeführt. Diese zielten auf Regierungsgebäude und Wohnhäuser. In den Tagen zuvor wurden auch Moscheen und Bildungseinrichtungen gezielt beschossen. So beschossen israelische Kampfflugzeuge eine Moschee und trafen dabei auch das nebenan liegende Gebäude. Dabei wurden die fünf Schwestern Jawaher (4 Jahre alt), Dunia (8), Samar (12), Ikram (14) und Tahreer (17) Ba’lousha getötet, drei ihrer Geschwister und beide Eltern verletzt. Seit dem Beginn der israelischen Bombardements auf Gaza wurden 362 Menschen umgebracht, 15% hiervon Kinder und Frauen. 1.700 Verletzte wurden in den Krankenhäusern des Gazastreifens behandelt.
Auch die Hamas bombardierte weiter: Auf israelischer Seite fielen im Lauf des Mittwochmorgens 40 weitere Raketen, die eine immer größere Reichweite haben und zwei Menschen leicht verletzten.
Das Gesundheitssystem im Gazastreifen kollabiert
Die Krankenhäuser in Gaza erhalten lediglich 6-8 Stunden Strom am Tag, was zu Stromausfällen geführt hat und eine große Gefahr für Schwerverletzte darstellt.
Die Hauptnotaufnahme in Gaza hat uns informiert, dass es leicht Verletzte nicht mehr aufnehmen kann und diese an andere Krankenhäuser verweisen. Momentan haben sie 9 Patienten, darunter 6 Kinder und zwei Frauen, die Atemgeräte und andere von Strom abhängigen Geräte zum Überleben benötigen. Die Generatoren der Krankenhäuser wurden aufgrund der israelischen Blockade lange Zeit nicht mehr repariert und könnten jederzeit ausfallen.
Obwohl Israel mittlerweile mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen durchlässt, ist das Gesundheitssystem in Gaza kaum fähig, auf eine Notlage dieser Größenordnung zu reagieren. Das Gesundheitssystem im Gazastreifen befindet sich nämlich kurz vor dem Zusammenbruch aufgrund der mittlerweile 1½-jährigen israelischen Blockade und der vorhergehenden, langjährigen Teilsperrung des Gebiets. Medizinische Geräte fehlen oder sind ausgefallen, weil sie nicht gewartet werden konnten oder weil Ersatzteile fehlen, das Gesundheitspersonal konnte sich nicht weiterbilden und ist mit komplizierten Notoperationen überfordert, und nach wie vor fehlen viele Medikamente und andere medizinischen Hilfsgüter.
Zeitnah auf die Krise reagieren
Mit Beginn der Bombardements gingen die Mitarbeiter des medico-Partners Palestinian Medical Relief Society (PMRS) in Nothilfemodus: Sie arbeiten rund um die Uhr in drei Schichten. Die Mitarbeiter – gestärkt durch das große Freiwilligennetz der PMRS - evakuieren Verletzte in die Krankenhäuser und leisten erste Hilfe. Sozialarbeiter betreuen die Angehörigen der vielen Toten und Verletzten, eine Blutspendenaktion läuft gerade an. Dank eines laufenden elfmonatigen Projekts, das medico mithilfe des Auswärtigen Amts finanziert, haben die PMRS einen Vorrat an Notfall-Medikamenten und Medikamenten für chronisch Kranke. Die beiden durch das Projekt finanzierten mobilen Kliniken samt zwölfköpfigen Teams können neben ihrer regulären Arbeit auch überall Soforthilfe leisten. Die mobilen Klinken und die anderen Einrichtungen der PMRS sind momentan überlastet: Da die Krankenhäuser für die Verwundeten geräumt werden mussten, chronisch Kranke, Herzpatienten oder Schwangere deshalb abweisen müssen, kommen diese Patienten in großen Zahlen zu den Einrichtungen der PMRS. Die mobilen Kliniken erleben innerhalb des Jahres 2008 ihre zweite Krise: Erst im Februar 2008 zerstörte ein israelisches Flugzeug eine mobile Klinik (mehr zu diesem Projekt)
Derweil versuchen die israelischen medico-Partner Ärzte für Menschenrechte – Israel (PHR-IL) das israelische Gesundheitsministerium dazu zu bewegen, Schwerverletzte aus Gaza herauszulassen. Der Staat Israel behandelt die Situation nämlich, als wäre sie alltäglich. Sie erlauben ausschließlich Patiententransporte nach Erhalt folgender Unterlagen: 1. eine offizielle Anfrage durch die palästinensische Autonomiebehörde, die den Gazastreifen nicht einmal kontrolliert und 2. die finanzielle Unterstützung durch die palästinensische Autonomiebehörde für Behandlungskosten. Dies stellt verschiedentliche Herausforderungen dar, da die Autonomiebehörde entschieden hat, keine Anfragen für den Krankentransport an die israelische Administration zu stellen und auch nicht gewillt ist, finanzielle Verantwortung für Behandlungskosten zu übernehmen, da sie Israel direkt für diese Verletzungen verantwortlich machen. In der Vergangenheit, etwa während der ersten Intifada, übernahm Israel die finanzielle Verantwortung für durch israelische Angriffe verwundete palästinensische Zivilisten - dies in Folge von israelischen Gerichtsurteilen.
Forderungen
Kurzfristige Maßnahmen
Medico International und seine Partner Ärzte für Menschenrechte – Israel und Palestinian Medical Relief Society fordern die sofortige Öffnung des Erez-Übergangs für Verletzte. Israel sollte sofort die Verantwortung übernehmen für die durch seine Bombardements verletzten Menschen. Die finanziellen Forderungen sollte Israel zu einem späteren Zeitpunkt – wenn überhaupt – stellen. Israel herrscht über den Gazastreifen nach wie vor und ist nach internationalem Recht als Besatzungsmacht verantwortlich für Leben und Wohl der Gazaer Bevölkerung. Weiter soll die Blockade sofort aufgehoben werden, um eine angemessene Versorgung der Gazaer Bevölkerung zu ermöglichen. Einseitige Schuldzuweisungen, wie sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgesprochen wurden, tragen sicherlich nicht zu einer friedlichen Lösung bei. Vielmehr muss ein Waffenstillstand mit allen Parteien verhandelt werden und darauf hingewirkt werden, dass die unverhältnismäßigen israelischen Bombardements, die ganze Familien auslöschen, sofort zu beenden sind.
Aussicht
Die aufkommende Krise war für jedermann vorauszusehen: Medico international, seine israelischen und palästinensischen Partner, sowie andere internationale Hilfs- und UN-Organisationen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die israelische Blockade des Gazastreifens die gesamte zivile Infrastruktur zusammenbrechen lässt. Diese Aufrufe wurden stets ignoriert. Gerade das Nahost-Quartett - bestehend aus der EU, den USA, der UNO und Russland - muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es durch seine Unfähigkeit oder Unwillen, Israel zur Aufgabe der Blockade zu bewegen, mitverantwortlich ist für die gegenwärtige Krise. (Siehe dazu etwa den Report „The Middle-East-Quartet – A Progress Report“ und den medico-Bericht hierzu)
Medico International und seine Partner Ärzte für Menschenrechte – Israel und Palestinian Medical Relief Society betonen: Ein Ende der humanitären Krise kann nur erfolgen, wenn die israelische Blockade von Gaza für Patienten, für Waren und für Zivilisten aufgehoben wird. Dies darf nicht eine zeitlich begrenzte Aktion des guten Willens sein, sondern muss dauerhaft garantiert werden. Alles andere stellt eine menschenrechtswidrige und gefährliche Kollektivbestrafung von anderthalb Millionen Menschen dar, von denen die Mehrheit Minderjährige sind.
Die Lage vor Ort ist unübersichtlich – auch durch die verschärfte israelische Informationsblockade, die unter anderem Journalisten oder etwa den UN-Sonderberichterstatter Richard Falk an der Einreise verhindert haben. Der Informationsfluss ist folglich zäh. Medico unternimmt sein Bestes, Informationen mehrfach zu überprüfen vor etwaiger Veröffentlichung.
Spendenaufruf
Zur Finanzierung dieser und weiterer Hilfsmaßnahmen ruft Medico zu Spenden auf.
Spendenkonto:
medico international
Frankfurter Sparkasse
Kontonummer 1800
BLZ 500 502 01
Stichwort: „Israel/Palästina“