„Hier ist mein Platz“

'Bruder Sturm' und sein Einsatz für die Rechte von Migrantinnen und Migranten in Mexiko

22.10.2012   Lesezeit: 5 min

Sie nennen ihn Fray Tormenta, Bruder Sturm. Weil er Sätze wie diese sagt, wenn er mit dem Megafon an der mexikanisch-guatemaltekischen Grenze steht: „Es ist eine Schande für Mexiko, dass wir so korrupte Behörden und ein so gut organisiertes Verbrechen haben. Dass Migranten in unserem Land ermordet und entführt werden“. Sie nennen ihn Bruder Sturm, weil er im besten Sinne ein Geistlicher ist, der wütend wird, wenn es sein muss, der den Behörden auf den Füßen steht und auch mal die Kamera zückt und filmt, wenn die Sicherheitsbehörden Migranten misshandeln. Er bleibt cool, wenn ihn das Militär vorübergehend festnimmt oder die Staatsanwaltschaft wegen Menschenhandels gegen ihn ermittelt. Selbst wenn die kriminellen Banden ihn mit dem Tode bedrohen, bleibt Fray Tomás González gelassen. Er weiß, dass der Kampf für die Migranten seinen Preis hat. Aber es ist seine Berufung. Seit zwei Jahren macht der Franziskaner-Bruder diesen komplizierten Job in Tenosique im mexikanischen Bundesstaat Tabasco. „Hier ist mein Platz“, sagt er.

"La 72"

In nur anderthalb Jahren in der Kleinstadt nah der guatemaltekischen Grenze hat der Franziskaner die Migrantenherberge „La 72“ aufgebaut. Sie trägt den Namen in Erinnerung an die 72 zentral- und südamerikanischen Männer und Frauen, die im August 2010 vom organisierten Verbrechen in San Fernando im Bundesstaat Tamaulipas hingerichtet und in einem Massengrab verscharrt wurden.

Das schlichte Refugium steht neben einem großen Mango-Baum, gleich hinter den Gleisen, über die der begehrte Güterzug Richtung Norden rattert. Die kleine Kapelle ist immer offen, die Gesundheitsstation und der Schlafsaal für Frauen sind gerade fertig gestellt. Die Männer müssen noch in der Kapelle übernachten. Für ihren Schlafsaal fehlt noch das Geld.

„La 72“ ist für die meisten Zentralamerikaner der erste Anlaufpunkt, wenn sie die Grenze nach Mexiko überquert haben. Hierher kommen sie mit Blasen an den Füßen nach tagelangen Märschen aus Nicaragua, Honduras und El Salvador. Hier verschnaufen sie, essen sich satt und warten, dass der stählerne Bandwurm mit diesem langgezogenen Pfeifen sein Kommen ankündigt. Dann schnappen sie rasch ihren kleinen Rucksack, rennen zu den Gleisen und springen auf.

Kurze Rast auf dem gefährlichen Weg durch Mexiko

Hier bei Fray Tomás beginnen die Wanderer zwischen den Welten die gefährliche 3000 Kilometer lange Reise durch Mexiko Richtung Norden, und der Franziskaner-Bruder sorgt dafür, dass sie es so gut vorbereitet wie möglich tun. Sie bekommen nicht nur Essen, einen Schlafplatz und medizinische Versorgung. Sie werden registriert, damit man ihre Spur besser verfolgen kann, sollten sie nicht am Ziel ankommen. Hier können sie erzählen von der Prügel, der Demütigung und den Diebstählen durch die Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde. In Fray Tomás’ Casa werden sie auch noch gewarnt vor der Gefahren, die ihnen auf dem Weg drohen: Durch die Häscher und Mörder des Organisierten Verbrechens. „Die Banden sind heute für die Migranten die größte Bedrohung“.

Feinde hat der Fray genug. Angefangen bei den Besitzern der kleinen Buden, die den Wanderern Getränke und Essen verkaufen wollen. Sie sind sauer, weil er ihnen das Geschäft kaputt macht. Die Banden, die Migranten entführen und für jeden 5000 Dollar erpressen wollen, sind wütend und die korrupten Behörden, die Bruder Tomás anzeigt, sind rachsüchtig. „Wir nehmen ihnen ja schließlich ihre Ware weg. Man muss das so deutlich sagen. Für all diese Menschen sind die Migranten eine Ware, mit der sich Geld verdienen lässt.“

Ein streitbarer Geistlicher

Doch Tomás ist nicht nur Tormenta. Er ist auch der besinnliche Geistliche, wenn er bei einer Messe mit dem Bischof in der Kapelle mit gefalteten Händen betet, ganz in sich gekehrt in seiner braunen Soutane der Ordensleute der Franziskaner.

Aber sobald die Messe vorbei ist, streift er die Soutane ab, zeigt sich in Jeans, schwarzem T-Shirt und Strohsombrero und offenbart seine dritte, die fröhliche Seite. Dann tanzt er mit jungen Helferinnen seiner Herberge und mit Migrantinnen zu den Marimba-Rhythmen der Band, die an einem schwülen Abend im Oktober die Gäste unterhält. Er plaudert mit Besuchern und steht Reportern Rede und Antwort.

Als der Tag zur Neige geht, lädt er ein halbes Dutzend Matratzen aus der Casa del Migrante auf seinen Pick-Up, müde Fotografen und Schreiber steigen dazu und fahren mit ihm in seine Kirche im Zentrum von Tenosique. Dort schlägt er das Nachtlager für die Reporter auf.

Dann bald ist auch das lange Tagwerk von Bruder Sturm getan. Ein paar Stunden Ruhe müssen sein, denn am nächsten Tag warten wieder neue Migranten mit neuen Geschichten und neue Probleme, die er lösen muss.

Von Klaus Ehringfeld

Täglich machen sich Menschen aus El Salvador, Guatemala, Honduras oder Nicaragua auf, weil sie zu Hause keine Zukunftsperspektive sehen und auf ein besseres Leben in den USA hoffen. Viele von ihnen kommen jedoch nie an. medico unterstützt die von der Mittelamerikanischen Migrationsbewegung (M3) organisierte Karawane Angehöriger aus Zentralamerika, die in Mexiko ihre verschwundenen Kinder suchen. Sie ist zugleich ein Protestmarsch gegen die Gewalt, der die Migrantinnen und Migranten auf dem Weg durch Mexiko ausgeliefert sind. Klaus Ehringfeld begleitete die Karawane und berichtete von Begegnungen unterwegs.

Projektstichwort

medico international hat den Bau und die Ausstattung einer Gesundheitsstation in der Migrantenherberge „La 72“ in Tenosique mit 7.000,- Euro unterstützt und finanzierte im Oktober 2012 zum zweiten Mal die Karawane Angehöriger aus Zentralamerika.

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